Mittsommerzauber
Köpfe neigten sich unwillkürlich einander zu. Fast fanden sich ihre Lippen. Doch dann war es plötzlich zu Ende mit Katarinas Mut.
Entschieden ging sie auf Distanz. Lachte wie ein verlegenes Schulmädchen.
»Also dann. Ich glaube, ich muss mal nach meiner Tochter sehen. Gute Nacht, Sven.«
Und sie ging schnell davon. Bemüht, nicht noch einmal zu straucheln. Und nur schnell aus dieser wirklich brenzligen Situation wegzukommen.
Svens Blick folgte ihr, bis sie im Zwielicht nicht mehr zu erkennen war.
»Gute Nacht, Katarina.« Sagte er unhörbar. »Schlaf gut.«
Katarina war nicht länger verwirrt. Es war eindeutig, sie hatte sich in Sven Svanblom verliebt. Oder wie sollte sie es anders deuten, dass ihr Herz ins Stolpern kam, wenn sie an seine widerspenstige Haartolle dachte, und ihre Knie flatterten, sobald sie ihn sah. Als sie sich am nächsten Morgen im Spiegel betrachtete, stellte sie sich unwillkürlich aufrechter hin und hoffte, dass diese Frau, die ihr da entgegensah, Sven Svanblom auch gefallen würde. Stand er überhaupt auf Frauen wie sie? Die sich nicht in die Kategorie magersüchtiges Model einreihen ließen? Wie diese blonde, elegante Marita Tomasson, der sie im Sommerhaus begegnet war. Wer war sie überhaupt? Eine Bekannte? Seine Freundin? Vielleicht die Gesellschafterin der Mutter? Auf jeden Fall war sie ein Typ Frau, dem Katarina mit ihrer natürlichen Ausstrahlung nie entsprechen würde. Klar, zu einem Vorstellungsgespräch zog sie auch ein hellgraues Business-Kostüm und hochhackige Schuhe an, und es war auch nicht so, dass sie darin nicht gut aussah. Aber lieber waren ihr Jeans und T-Shirt oder bunte Sommerkleider, in denen sie sich gut bewegen konnte. Überhaupt, alles, was sie einengte, wofür sie sich verbiegen musste, worin sie sich verkleidet vorkam, war für Katarina ein Gräuel. Sie war überzeugt davon, dass sie ihr Wesen sowieso hinter keiner Fassade verbergen konnte. Also, wieso sollte sie sich nicht von vornherein zu sich bekennen? Bis jetzt war sie damit immer ganz gut gefahren. Ob diese Haltung allerdings im Hinblick auf Sven richtig war, das konnte sie nicht einschätzen. Er lebte in einer anderen Welt. Er verkehrte mit Frauen, denen sie allenfalls hin und wieder als Gäste des Lokals begegnete. Elegante, perfekte Erscheinungen, die ihr Outfit in Paris und Rom kauften oder auf der Fifth Avenue in New York. Wie sollte sie in dieses Bild passen? Vielleicht betrachtete er die Begegnung mit ihr nur als nette Abwechslung, solange er sich hier auf der Insel befand? Als Zugabe zum Catering-Service? Katarina schüttelte energisch den Kopf. Diese Gedanken wollte sie nicht weiterverfolgen. Sie dachte lieber an Svens jungenhaftes Lächeln, an seine leicht kratzige Stimme, an seine Berührung. Und sie lächelte, als sich sofort dieses Kribbeln auf der Haut einstellte. Und ihr Herz sich zusammenzog vor Sehnsucht. Sie beschloss, nicht darüber nachzudenken, ob sie in die Welt der Svanbloms passte oder nicht. Im Moment stellte sich diese Frage gar nicht. Also musste sie auch nicht beantwortet werden.
Annickas vergnügtes Lachen riss Katarina aus ihren Gedanken. Sie zog die hellen Vorhänge zur Seite und sah ihre Tochter auf der Wiese sitzen und mit den Katzenbabys spielen. Die winzigen Fellknäuel kletterten auf ihren Beinen herum, purzelten übereinander und zerrten an den Schnürsenkeln ihrer roten Turnschuhe. Als Annicka ihre Mutter am Fenster bemerkte, rief sie vergnügt:
»Hej, Langschläferin. Wollten wir nicht auf den Markt gehen?«
Katarina sah auf die Uhr. Es war Viertel vor acht. Sie lachte.
»Sofort. Wenn du mir vorher noch einen Kaffee erlaubst...«
Sie winkte Annicka zu und eilte in die Küche. Sie war optimistisch und spürte eine unbändige Lust, sich mitten ins Leben zu stürzen.
Der Dämpfer kam, als sie sich gerade in der Küche eine Tasse Kaffee einschenkte. Ihr Handy klingelte. Und sie hörte eine Stimme, die ihr auf der Stelle einen Schauder über den Rücken jagte.
»Hej, meine Schöne, ich bin wieder im Lande. Wie geht’s dir? Und Annicka?«
Harald Molin war zurück. In Schweden. Annickas biologischer Vater. Sie hörte sein leises Lachen.
»Na, Überraschung gelungen, meine Schöne?«
»Woher hast du meine Nummer?« Sie fauchte ihn an, obwohl sie sich bemühte, gelassen zu wirken. Doch sie war ihm gegenüber nie gelassen gewesen. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sie wie Feuer gelodert, kaum hatte sie ihn gesehen. Er war der erste Mann gewesen, in den sie
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