Mittsommerzauber
dass es die Wahrheit war. Mit einem Mal war ihr Entschluss, von hier fortzugehen, wieder ins Wanken geraten, und jetzt erst wurde ihr klar, was ihre Mutter gemeint hatte. Sie musste erwachsen werden...
Vor allem aber musste sie dies hier zu Ende bringen.
»Es liegt daran, dass ich nicht mit dir leben kann, Bertil. Das mit uns - es ist vorbei.« Sie wusste, dass sie ihm damit wehtat, aber es war nicht zu ändern.
Bertil schluckte, und sie sah, wie sehr es ihm zusetzte.
Doch sie fand auch Verständnis in seinen Augen, und um seine Lippen zuckte ein reumütiges Lächeln auf. »Ich habe es geahnt, weißt du. Ich wollte es bloß nicht wahrhaben. Jetzt bin ich froh, dass es endlich raus ist. Damit ist wenigstens alles klar.«
»Meinst du...« Anna zögerte. »Meinst du, wir können Freunde bleiben?«
Er senkte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sicher nicht sofort. Nach einer Weile vielleicht...«
Sie beließen es dabei. Anna war klar, dass er Zeit brauchen würde, um die Trennung zu verarbeiten und sich an die veränderte Situation zu gewöhnen, doch sie war davon überzeugt, dass er es schaffen würde.
*
Der Fluss schäumte klar und kalt zu ihren Füßen, als Anna das Kajak zu Wasser brachte. Bertil hatte ihr vorgeschlagen, den Rest des Tages freizunehmen, und bevor sie gegangen war, hatte sie ihn mit einer Agentur telefonieren hören, die Aushilfskräfte vermittelte.
Zumindest dieses Problem hatte sie also bewältigt, doch ihre Gedanken waren immer noch von Chaos beherrscht. In ihrem Versuch, endlich einen klaren Kopf zu kriegen, tat sie das, was ihr immer schon geholfen hatte, wenn sie durcheinander war. Sie stieg in ihr Boot.
Doch heute war sie unaufmerksam, sei es durch die vorangegangenen hektischen Stunden, sei es durch die Regengüsse, die den Fluss hatten ansteigen und die Strömung stärker werden lassen als sonst.
Sie hielt das Boot fest und wollte gerade einen Fuß hineinsetzen, als es ihr auch schon aus der Hand glitt und binnen Sekunden davontrieb.
»O nein!«, rief sie frustriert aus, während das Kajak von der Strömung immer weiter fortgerissen wurde.
Sie überlegte kurz, ob sie mit dem Wagen flussabwärts fahren sollte, doch kein Mensch konnte sagen, wo die Strömung schließlich das Boot an Land treiben würde. Weit würde es sicher nicht kommen, bestimmt nicht mehr als einen oder zwei Kilometer. Irgendjemand würde es finden und bei ihr oder Bertil abliefern. Es war schon mehrmals vorgekommen, dass ihr das Boot weggerutscht war, und zwei-, dreimal war sie auch beim Kentern herausgeglitten und hatte an Land schwimmen müssen, doch jedes Mal hatte sie am Ende ihr Boot zurückbekommen.
Sie fuhr zurück nach Hause und zog sich um. Anschließend ging sie hinüber zum Gästehaus. Wie erwartet war Robert verschwunden, und er hatte nichts zurückgelassen, was sie an ihn erinnert hätte. Sie sagte sich, dass sie froh darüber sein sollte, ihn los zu sein. Doch warum tat es dann so weh, wenn sie die Stelle hinterm Haus sah, wo sie an jenem ersten Abend zusammen gestanden und Steine übers Wasser geworfen hatten?
In Gedanken versunken, kehrte sie zum Haupthaus zurück. Berta stand in der Halle und staubte die Wandpaneele ab.
»Du bist schon wieder da? Ich dachte, du wolltest mit dem Boot hinaus.«
»Ich hab’s verloren. Ist Herr Dahlström schon lange weg?«
»Seit einer Stunde.«
Anna wollte nach oben in ihr Zimmer gehen, besann sich aber. Dort würde ihr nur die Decke auf den Kopf fallen. Sie wusste immer noch nicht genau, was nun werden sollte. Glaubte sie im einen Moment noch, es sei besser für sie, hier zu bleiben, war sie im nächsten davon überzeugt, der Job auf dem Schiff sei vielleicht doch eher das Richtige für sie.
Aus einem Impuls heraus entschied sie, noch einmal nach Märraberg zu fahren. Sie war gestern dort so glücklich gewesen, so erfüllt von Frieden und Wohlgefühl wie schon seit Jahren nicht mehr. Vielleicht würde sie einen Teil davon wieder einfangen können, wenn sie dorthin zurückkehrte. Welcher Zauber auch immer über diesem Ort lag - vielleicht schaffte sie es, ihn erneut auf sich wirken zu lassen. Und dabei endlich über ihre Zukunft zu entscheiden.
*
Heute war Robert das Anglerglück hold. Er hatte sich eine neue Rute besorgt und ein paar der Köder mitgenommen, die der Besitzer des kleinen Ladens eigenhändig gebastelt hatte. Der Mann hatte geschworen, es gebe keine Fische, die darauf nicht anbissen, und anscheinend hatte er Recht, denn Robert
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