Mittwinternacht
St. Damian fuhr, um sich mit Huw zu treffen. Doch dann hatte sie Onkel Ted, ganz erboster Kirchenvorstand, in der Vorhalle abgepasst.
«Wo zum Teufel bist du gewesen? Ich habe versucht, dich in deinem sogenannten Büro anzurufen – besetzt, besetzt, besetzt. Das geht so nicht, Merrily.»
«Ted, ich habe gerade zwei Stunden damit verbracht, ein paar Leute zu einem Gottesdienst zusammenzubringen, an dem niemand teilnehmen will. Ich habe nur noch eine Stunde, um mich vorzubereiten, bevor ich wieder wegmuss.»
«Das tut mir sehr leid für dich, Merrily, aber wenn du keine Zeit für deine eigene Gemeinde mehr hast, dann …»
«Ted», sie trat einen Schritt von ihm weg, «ich möchte jetzt wirklich nicht damit anfangen, ganz gleich, worum es geht. Wir können gleich morgen früh darüber sprechen, okay?»
Es war noch nicht zu dunkel, um zu erkennen, wie sein weiches Pensionistengesicht vor Ärger rot anlief. «Warst du heute Morgen hier? Irgendwer meint, dich gesehen zu haben.»
«Ganz früh, ja.» War das wirklich erst heute?
«Um welche Zeit?»
«Ich weiß nicht genau … so um sieben vielleicht. Was …»
«Ist dir aufgefallen, ob irgendetwas anders war?»
«Ich bin einfach nur zum Beten in den Altarraum gegangen. Sag bloß nicht …»
«Doch. Es wurde eingebrochen. Irgendwer ist vergangene Nacht in deine Kirche eingebrochen.»
«O Gott.» Sie musste sofort an die tote Krähe und den Uringeruch denken. «Was haben sie gemacht?»
«Ein Fenster eingeschlagen.»
«O nein.»
«Komm und sieh’s dir selber an.»
Sie folgte ihm in die Kirche, in der die Lichter brannten, und wandte sich nach links zur Sakristei. Die Glühbirne aus der Hängelampe war zerschmettert und das Fenster eingeschlagen worden. Zur Absicherung versperrte inzwischen ein massives Brett die Fensteröffnung.
Die Sakristei. Gott sei Dank. Dort gab es keine Bleiglasfenster.
«Haben sie etwas gestohlen?»
«Nein, aber darum geht es auch nicht, oder?»
Kein Blut, keine Innereien, kein Urin.
Merrily tastete im Schrank herum, um ihren Talar herauszuholen. Jetzt würde sie sich zu Hause umziehen müssen.
«Habt ihr mit der Polizei gesprochen?»
«Natürlich haben wir das – die hat sich allerdings nicht besonders dafür interessiert.»
«Wenn nichts gestohlen wurde … Hör mal, Ted, ich kann mir das erst morgen genauer ansehen. Ich muss Jane sagen, wohin ich gehe.»
«Und wohin
gehst
du?»
«Ich muss drüben in Stretford eine Messe halten. In der Nähe von Dilwyn.»
«Da geht’s wieder um diesen verdammten Exorzismus-Mist», sagte er verächtlich.
Dennys Sprechgeschwindigkeit, seine ganzen Bewegungen waren verlangsamt – als hätte jemand einen Stecker aus ihm herausgezogen, dachte Lol. Denny schien um zehn Jahre gealtert. Sein überdimensionierter Ohrring wirkte mit einem Mal albern.
«Dad, verstehst du – er hatte ein Haus gekauft, in das wir nach dem Verkauf des Bauernhofs einziehen sollten. In Tupsley, also kaum aus der Stadt raus.»
Denny lag halb im Sessel, während sich Lol auf den Boden gesetzt hatte und sich an den Kamin lehnte. Es brannte nur eine Leselampe.
«Dieses Haus war verdammt nochmal viel zu nah», sagte Denny. «Scheiße. Hat er daran auch nur einen einzigen Gedanken verschwendet? Daran, wie Ma es schaffen sollte, hier zu leben, nach dieser verdammten Selbstmordgeschichte? Er hat die ganze Familie noch mehr leiden lassen, nachdem wir schon das Bauerngut verloren hatten. Und dann noch das Gerede der Leute. Dieses egoistische Schwein!»
Lol dachte an den lächelnden Mann auf dem Foto, der noch fünfundzwanzig Jahre später einen dunklen Schatten warf. Denny steckte sich eine Silk Cut aus dem Päckchen an, das Merrily vergessen hatte.
«Also haben wir, nachdem er … gestorben war, das Haus in Tupsley so schnell wie möglich verscheuert und sind bei der erstbesten Gelegenheit nach Gloucester umgezogen. Dort hatten wir Verwandtschaft, verstehst du, und außerdem wollten wir nicht, dass irgendwer Kathy gegenüber ausplauderte, was passiert war, und das hätten die Kinder hier bestimmt getan, wenn wir geblieben wären – spätestens in der Schule hätte sie es erfahren. Wir haben nie darüber geredet. Das Thema war tabu – vor allem, wie esgenau passiert ist. Wenn eine vertrottelte alte Tante mal ein Wort darüber hat fallengelassen, war Ma immer tagelang total fertig. Und ich … Sie hat mich die ganze Zeit beobachtet und nach Symptomen gesucht.»
«Symptome für
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