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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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was?»
    «Schizophrenie.»
    Lol spürte fast körperlich Dennys Angst davor, diese Krankheit geerbt zu haben. Jahrelang hatte Denny seine Befürchtungen hinter aufgesetzter Fröhlichkeit und polterndem Auftreten versteckt.
    «Und dann   … als Kathy fünf oder sechs Jahre alt war und angefangen hat, zu fragen, warum sie keinen Papa hat, haben wir ihr erzählt, es wäre ein Unfall gewesen. Dass im Wald sein Gewehr versehentlich losgegangen ist. Es war keine große Sache – sie hatte schließlich sowieso keinerlei Erinnerungen an ihn. Als sie noch ein bisschen älter war, so zwölf ungefähr, hab ich ihr gesagt, dass es Selbstmord war und warum. Aber die Sache mit dem Gewehr habe ich beibehalten. Und weißt du warum? Weil sie garantiert von mir gewollt hätte, dass ich ihr erzähle, wie ich ihn gefunden habe. Wie er ausgesehen hat, als er in diesem Trog lag – wie in einem von diesen Steinsärgen, die in alten Kirchen stehen.»
    «Ja.» Lol nickte und musste an das Foto denken, auf dem Moon im Gebeingraben der Domfreiheit zu sehen war, wie sie fröhlich zwei Totenschädel aus dem Mittelalter hochhielt, als hätte sie überraschend zwei gute alte Freunde wiedergetroffen. So glücklich, so zu Hause bei all diesen Bildern des Todes – bis zu dem Foto ihres toten Vaters mit seinen fiebrig glänzenden Augen unter der flachen Mütze, von der sie glaubte, er habe sie vielleicht getragen, als er sich erschoss.
    Krank!
    Denny warf ihm einen dankbaren Blick zu. «Ich war erst fünfzehn.Alles, was du mit so einer Erinnerung machen kannst, ist, sie aus deinen Gedanken auszubrennen – so wie sie es früher mit dem Stumpf gemacht haben, wenn jemand in der Schlacht einen Arm verloren hat. Sie hat die Schule abgeschlossen und ist zum Studieren nach Bristol gegangen. Ich habe meinen ersten Laden bekommen – geerbt, von Mas Seite. Also bin ich zurück nach Hereford gegangen. Ich habe Maggie kennengelernt. Über den Rest weißt du Bescheid.»
    «Hattest du nie Angst, sie könnte es eines Tages herausfinden?»
    «Warum?», krächzte Denny. «Wie sollte sie? Selbst hier erinnert sich nach fünfundzwanzig Jahren vermutlich kein Mensch mehr daran, wie es genau war. Es war vorbei. Und wie um Himmels willen hätte ich darauf kommen sollen, dass sie ausgerechnet dieses Ding mietet – dieselbe verdammte Scheune? Es ist ein Albtraum. Ich habe mich gewundert, dass das Ding überhaupt noch steht. Wer will denn in einem Haus mit so einem Schlachthof nebenan wohnen?»
    «Offenbar hat sich jemand große Mühe gegeben, die Scheune unsichtbar zu machen.» Lol dachte an die hohe Hecke schnell wachsender Leylandii. Vermutlich war sie von den Leuten gepflanzt worden, die den Bauernhof von Harry Moon gekauft hatten, oder vielleicht auch von den nächsten Besitzern. Aus den Augen, aus dem Sinn, aus den Albträumen. «Und die Purefoys sind Zugezogene. Woher hätten sie etwas wissen sollen.»
    «Dummes Volk.»
    «Hast du   …», Lol zögerte. «Hast du nicht daran gedacht, es ihr zu erzählen, bevor sie eingezogen ist?»
    «Und was hätte das bringen sollen, Laurence? Glaubst du, es hätte sie davon abgehalten?» Denny lachte wild auf. «
Ausgerechnet sie?
» 
    Der arme Denny, der alles getan hatte, um sein letztes Bild vonHarry Moon loszuwerden, weil er sich davor fürchtete, was mit ihm selbst passieren würde, wenn er wieder auf den Hügel ging.
    Also war er einfach weggeblieben, hatte Dick dafür bezahlt, seine Schwester zu behandeln, und alle beide hatten sich auf Lol verlassen. Sie hatten gewollt, dass Lol etwas mit ihr anfing, dass er bei ihr einzog. Lol überlegte, was Merrily dazu sagen würde – zu einer so gefährlichen und instabilen Situation, dass sie wirklich nur von Männern herbeigeführt worden sein konnte.
    «Dieser Zeitungsartikel», sagte Denny, «dieser Ausschnitt aus der
Hereford Times
, den hatten wir nie im Haus. Weißt du, wie sie daran gekommen ist?»
    Lol schüttelte den Kopf. «Hab ihn dort zum ersten Mal gesehen. Keine Ahnung   … Hat sie ihn von irgendwem bekommen? Hat sie vielleicht im Zeitungsarchiv für ihr Buch recherchiert und ist selbst darauf gestoßen?»
    «Und dann hat sie ihn einfach neben das Telefon gelegt, damit diese Mrs.   Purefoy ihn finden konnte. Hat sich alles genau ausgedacht, oder? Weil sie so verdammt
glücklich
war, endlich zu ihrem Vater zu kommen, an den sie sich nicht mal erinnern konnte.» Denny fing an zu weinen. «Glaubst du, dass sie glücklich war?»
    Manche Psychologen, dachte Lol

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