Mittwinternacht
ihres Standpunktes. Schließlich war es Rowenna gewesen, die ge sagt hatte:
«Hör mal, du kannst andere Leute nicht ändern. Nur dich selbst.»
Das war doch noch gar nicht so lange her, oder?
«Komm», sagte Rowenna. «Wir gehen.»
Eine Glühbirne brannte durch.
Merrilys Hand glitt unter den oberen Pullover zu dem Kreuz.
Der Flur, in dem es angeblich spukte, wurde von äußerst schwachen, mattierten Glühbirnen in verstaubten Wandhalterungen beleuchtet. Jeweils zwei Glühbirnen waren in die Wandlampen geschraubt, die in ziemlich großen Abständen an der Wand des engen Flurs hingen. Durchgebrannt war die letzte Birne in der Reihe, sodass sich im Flur, in dem es ohnehin schon nicht hell gewesen war, nun weitere Schatten verbreiteten und sein Ende nicht mehr sichtbar war. In diesem düsteren Tunnel konnte man mit Leichtigkeit an wandernde Erscheinungen glauben.
Edna Rees kicherte in sich hinein. Sie saß auf einem rosafarbenen Korbstuhl, den man ihr aus einem Badezimmer geholt hatte.
Jetzt musste Merrily dem Geist auf die Spur kommen.
Denn man kam nicht einfach an und stürzte sich in die Arbeit.
«Verbringen Sie ein bisschen Zeit mit der Erscheinung
»
, hatte Huw Owen gesagt.
«Lassen Sie sie zu sich sprechen. Natürlich REDEN sie normalerweise nicht, aber sie können Kontakt aufnehmen.»
Konnte sie überhaupt noch irgendetwas glauben, das Huw Owen gesagt hatte?
Sie waren seit zwanzig Minuten in dem Flur. Unten begann Susan Thorpe wahrscheinlich schon, ungeduldig auf die Uhr zu sehen. Merrily tat alles ganz mechanisch und glaubte selbst nicht so recht daran, dass es funktionieren würde.
«Es funktioniert nicht immer.» Das war garantiert Huws ehrlichster Satz gewesen. Das sollte eigentlich ganz vorne, nein, noch besser, auf dem
Titel
des Exorzisten-Handbuchs stehen.
Nach ihrem Erlebnis um vier Uhr morgens war Merrily aus ihrem Schlafzimmer geflüchtet und hatte zitternd und betend in der Küche gesessen, bis Jane aufgestanden war. Sie hatte sich zusammengenommen, gewartet, bis Jane auf dem Schulweg war, und sich in aller Ruhe im Badezimmer fertig gemacht. Dann hatte sie sich lange im Badezimmerspiegel angesehen und nach einem Zeichen dafür gesucht, dass sie von Denzil Joy besessen war. Doch sie hatte keines gefunden. Sie sah vielleicht ein bisschen mitgenommen aus, aber ihre müden Augen waren ihre eigenen, sie konnte nichts von Denzil Joy darin entdecken. Sie spürte nichts von seinen widerlichen Begierden. Sie
kannte
ihn nicht.
War nicht von ihm besessen.
Verfolgt wurde sie allerdings ganz bestimmt von ihm. Es hatte keinen Sinn, das psychologisch zu erklären; sie wurde von ihmverfolgt. Er folgte ihr, er war ihr Geister-Stalker. Weil sie es in dieser Nacht im Krankenhaus nicht geschafft hatte, seine bösartigen Energien umzulenken, hatte er sich an sie gehängt. Als sie aus der Klinik ging, war Denzil Joy hinter ihr hergeschlichen wie ein buckliger, gehässiger Verwandter. Er gehörte jetzt zu ihr. Niemand anders hatte diese Krankheit bekommen.
Und all das war ihr nicht klar gewesen, bis sie vor ihrer Fahrt nach St. Cosmas und St. Damian versucht hatte, sich zu sammeln. Ihre Energie zu bündeln.
War es wirklich so? Und war das Weihwasserritual am Vorabend gescheitert, weil sie es nur auf das Schlafzimmer gerichtet hatte, weil sie nur
den Raum
geschützt hatte – und nicht sich selbst?
Sie selbst war der Magnet. So musste es sein. Sie hatte ihn
eingeladen
, indem sie an seinem Bett gesessen und seine Reptilienhand gehalten hatte. Die weibliche Exorzistin fordert den Inkubus heraus, genau wie die Pfarramtsvertreterin die Begierde des Organisten herausgefordert hatte.
An diesem Tag hatte sie sich viel Zeit genommen, um sich von dem erneuten Erlebnis mit Denzil Joys Geist zu reinigen. Sie war in mehreren Kirchen in der Gegend gewesen, hatte eine kleine Pilgerfahrt im Umkreis von Hereford unternommen. Ein ganzer Tag des Gebets und der Meditation.
Zum Schluss hatte sie in der Nähe der Cathedral School geparkt, war in die Kathedrale geschlüpft und hatte über eine Stunde still in einer Bank gesessen, während Touristen und Geistliche, die sie nicht kannte, in der Kirche umherliefen.
Sie hatte weder Huw noch Sophie angerufen. Sie hatte dem Impuls widerstanden, zu Lol in die Church Street zu gehen. Um vier Uhr nachmittags war sie ins Pfarrhaus zurückgekommen, hatte die Katze gefüttert und für sich und Jane etwas gekocht. Dann war sie noch einmal in ihre Kirche gegangen, und
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