Mittwinternacht
immer – in der Luft zu nichts verblasste.
Auch wenn es schwer war, sich nicht umzudrehen, hielt Merrily, die dem Ende des dunklen Flurs zugewandt stand, ihren Blick gesenkt. Von dort hinten schien ein dumpfer Kampfergeruch heranzuziehen, der zuvor vielleicht nicht da gewesen war.
Sie wartete, hob ihren Blick an die Trägerbalken der Decke und die filigranen, verstaubten Spinnennetze über dem einzigen Fenster.
Es war jetzt dunkler in dem Flur – also gut, es
wirkte
dunkler. Als wäre die Leistung der Glühbirnen um dreißig Prozent gesunken. Vielleicht geschah gerade etwas, vielleicht saugte irgendetwas die Energie ab – etwas, das begonnen hatte, als sie ihr erstes Gebet beendete. Sie spürte jetzt einen leichten Widerstand.
Merrily schwitzte und versuchte, sich nicht gegen die zunehmend aufgeladene Atmosphäre zu sperren. Sie fragte sich, ob Edna es auch bemerkt hatte oder ob sie allein gemeint war, ob sie diese Reaktion mit ihrem einsamen Ritual angelockt hatte. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme dünn und hektisch.
«Wenn hier ein … ruheloser Geist ist, beten wir, dass er vonaller Angst und jedem Zwang befreit wird, der ihn an diesen Ort binden mag. Wir beten, dass er alle irdischen Fesseln abstreifen und in Frieden zu Gott gehen kann.»
Das klang schwach. Es fehlte etwas. Es war verdammt nochmal viel zu
rational
.
Also gut, hier war wirklich irgendetwas. Nachdem sie jetzt sicher war, überlegte sie, ob man vielleicht eine Messe zur Segnung des Hauses abhalten sollte. Das könnte der Dorfpfarrer machen. Irgendein Vorwand würde ihnen schon einfallen, unter dem alle Bewohnerinnen eingeladen werden könnten. Und die Kirchgängerinnen würden vermutlich ohnehin nicht viele Fragen stellen.
Die Atmosphäre war inzwischen zum Zerreißen gespannt.
«Mögen die Heiligen Gottes für ihn beten und die Engel ihn leiten und behüten …»
Der Sauerstoff in der Luft schien abzunehmen, und Merrily wurde ein bisschen mulmig. Halt durch. Sie fummelte an ihrem Halsausschnitt herum, weil sie das Kreuz herausziehen wollte. Als sie die Kette anfasste, begannen ihre Handflächen zu …
«Mrs. Watkins.»
Merrily ließ die Kette los und öffnete die Augen. Edna Rees deutete auf die oberste Treppenstufe, auf der sich ein menschlicher Umriss abzeichnete.
«Bitte, dafür gibt es wirklich keine Notwendigkeit», sagte die Gestalt.
Angela drehte sechs Karten in einer Reihe um und schob sie dann schnell wieder zu einem Stapel zusammen.
Aber Jane hatte einen Blick auf die Karten werfen können und drei davon erkannt:
der Tod … der Teufel … der Turm, in den der Blitz fährt
.
«Ich kann das nicht», sagte Angela. «Ich fürchte, daran ist Rowenna schuld.»
Sie waren in dem Pub der Esoterik-Messe, dieses Mal allerdings im oberen Stockwerk in einer Art Abstellkammer. Sie war ziemlich spärlich eingerichtet. Außer dem Kartentisch und zwei Stühlen stand kaum etwas darin. Rowenna hockte auf einer Kommode, den Kopf nur eine Handbreit von der nackten Glühbirne entfernt, die von der Decke hing.
«Es tut mir leid», sagte Angela. «Das war mir wirklich nicht klar.»
Angela wirkte sehr zart in ihrem riesigen Schaffellmantel mit dem aufgestellten Kragen. Und sie wirkte ziemlich glamourös, wie ein Filmstar in der Drehpause. Verwirrt wirkte sie allerdings auch.
«Du wusstest das vermutlich nicht, aber eine meiner Regeln lautet, dass nur ich die innere Person kennen darf. Ich mag es nicht, wenn ich beim Kartenlegen etwas über den Hintergrund oder die Lebenssituation einer Person weiß, weil ich dann, falls die Karten mir ein Problem zeigen, nicht mehr sicher sein kann, dass diese Information von der Quelle stammt und nicht durch mein Wissen, meine Ansichten oder Vorurteile beeinflusst wird. Tut mir leid, Jane.»
Von unten waren die Geräusche aus der Bar zu hören.
«Angela», sagte Jane nervös, «es liegt also nicht daran, dass Sie ein paar richtig schlechte Karten umgedreht haben und glauben, ich würde es nicht verkraften?»
Angela sah sie ein bisschen ärgerlich an. «Die Karten entfalten ihre Bedeutung erst durch ihre Beziehung untereinander.»
«Hat mir aber nach einer ziemlich dramatischen Beziehung ausgesehen», sagte Rowenna mit einer Spur Boshaftigkeit. Für sie hatte Angela die Karten schon gelegt: Ihre Zukunft war an die einer befreundeten Person gebunden, der sie dabei helfen sollte, ihr wahres Ich zu entdecken oder so ähnlich. Rowenna schien leicht genervt davon, dass Janes
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