Mittwinternacht
Fähigkeiten.»
«Was dir instinktiv richtig vorgekommen ist.»
Jane zog ein finsteres Gesicht.
«Ich vermute, sie hat dir geraten, diese Fähigkeiten weiterzuentwickeln.»
«Sie hat mich mit einer Gruppe namens
The Pod
in Kontakt gebracht.»
«Die sich über dem Alternativ-Restaurant in der Bridge Street trifft.»
«Also warst du das doch. Ich habe an einem Abend gedacht, dass ich dich auf der Straße gesehen hätte.»
«Wenn du dich nicht einfach verdrückt hättest, ohne mich zu grüßen, hätte ich mir vermutlich überhaupt nichts dabei gedacht.– Und was passiert bei
The Pod
?»
«Es ist wirklich ganz gut. Es geht darum, dass man seine Wahrnehmung für so was wie andere Existenzebenen schult.»
«Aber irgendwelche Rituale werden nicht abgehalten, oder?»
«Nein, überhaupt nicht. Eigentlich – da haben wir’s wieder – meint Rowenna jetzt schon, das wäre bloß Kindergartenkram. Oje, es ist so durchschaubar, wenn man es mal von der anderen Seite betrachtet.»
«Das glaube ich eigentlich nicht. Auf mich wirkt das Ganze ziemlich ausgeklügelt. Sie bringen dich in eine Gruppe freundlicher, netter Frauen, die dich ein bisschen unter die Fittiche nehmen …»
«Also machen die Frauen von
The Pod
bei diesem Plan mit?»
«Ich weiß nicht. Sie kommen mir harmlos vor. Es kann sein, dass ihnen einfach jemand erzählt hat, es wäre etwas ganz Besonderes, dich in der Gruppe zu haben. Das habe ich mir jedenfalls sagen lassen.»
«Wegen Mom? Was
soll
das alles?»
«Ich glaube, es geht dabei um Frauen im Pfarramt», sagte Lol. «Sie sind immer noch ziemliche Ausnahmen, und es ist die größte Veränderung, die in der Kirche seit Jahrhunderten stattgefunden hat. Angela gehört auch zu
The Pod
, oder?»
«Ich glaube eigentlich nicht. Sie war jedenfalls nicht bei den Treffen, seit ich hingehe.»
«Hat sie mal etwas über deine Mom gesagt?»
«Sie meinte, Rowenna hätte ihr erzählt, dass Mom Pfarrerin ist. Sie sagte, sie hätte sich darüber geärgert, weil sie es für falsch hält, etwas über die Leute zu wissen, für die sie die Karten legt, oder so einen Blödsinn. Und, genau, dann kam so was wie: «Oh, ich kann die Karten heute nicht für dich deuten, bestimmt lese ich lauter falsche Sachen heraus» – bis ich darum gebettelt habe, dass sie es doch tut. Und dann sind sie und Row nach und nach damit rausgerückt, dass ich Mom zur Erleuchtung führen soll. Sie haben angedeutet,dass eine Riesenkatastrophe passieren könnte, wenn ich es nicht tue. Sie wollen sie einfach irgendwie … kaputt machen, oder?»
«Ich denke schon», sagte Lol. «Und Merrily hat recht: Sie versuchen durch dich, an sie heranzukommen. Ganz egal, was du glaubst, du bist das Allerwichtigste in Merrilys Leben. Das wissen sie auch – du bist das einzige Kind einer alleinerziehenden Mutter.»
«Wer sind sie?»
«Das weiß ich nicht. Diese ganze Vorstellung von bösartigen Teufelsanbetern, die es auf Pfarrer abgesehen haben, klingt so … Aber trotzdem …»
«Wir müssen etwas unternehmen, Lol. Ich könnte echt platzen vor Wut. Es ist, als hätten sie mich vergewaltigt, verstehst du? Wir …», Jane sprang auf. «Hey! Warum gehen wir nicht mal
Angela
besuchen? Jetzt, wo wir wissen, wer sie ist, klingeln wir einfach bei ihr an der Tür und … und verlangen eine Antwort!»
«Nein!»
«Warum nicht?»
«Jedenfalls nicht sofort.»
«Aber warum nicht?»
«Ich muss erst noch nachdenken.»
Jane runzelte die Stirn. «Es hat was mit Moon zu tun, oder?»
43
Tiefenwirkung
Huw hob seine schwarze Tasche auf den Tisch, knipste die Lampe an und nahm ein dickes Taschenbuch heraus.
Merrily erkannte es sofort.
Die volkstümlichen Überlieferungen in Herefordshire
von Ella Mary Leather war ein paar Monate langJanes Bibel gewesen. Es bestand hauptsächlich aus einer umfangreichen Sammlung von Sitten und Sagen, die von der Autorin aus obskuren alten Druckwerken und mündlichen Überlieferungen in der Region zusammengetragen worden war.
Huw schlug das Buch auf.
TEIL IV
ÜBERNATÜRLICHE PHÄNOMENE
(1) GEISTERERSCHEINUNGEN
In Huws Terminologie hätte über dem Kapitel
Besucher
gestanden.
Mrs. Leather wies darauf hin, dass es in ganz Herefordshire – jedenfalls 1912 – eine allgemein akzeptierte Tatsache war, dass der Geist einer Person kurz vor oder kurz nach ihrem Tod von Verwandten oder engen Freunden gesehen werden konnte. Der Geist verabschiedete sich von den Menschen und Orten, die er geliebt
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