Mittwinternacht
genauso wenig. Lol stellte sich vor, wie Moon in ihrem Mittelaltergewand allein auf dem Parkplatz stand, nachdem sie alle weggefahren waren. Moon, völlig verwirrt, weil niemand mehr da war. Niemand, der verstand, was ihr passiert war.
Als Lol auf den Astra zuging, erschien langsam Janes Gesicht hinter der schmutzigen Windschutzscheibe. Sie wirkte sehr jung und sehr verletzlich. Er lächelte sie an.
«Lol, die Frau, mit der du da geredet hast …», sagte Jane.
«Mrs. Purefoy?»
«Die blonde.»
«Das war Moons Nachbarin und Vermieterin, Anna Purefoy.»
Vorsichtig steuerte er den Wagen vom Parkplatz herunter.
Jane sagte: «Du meinst Angela.»
«Ich dachte, sie heißt Anna, aber ich kann mich täuschen.»
«Und sie ist Moons Nachbarin gewesen?»
«Auf dem Dinedor Hill. Den Purefoys gehört die Scheune, in der sie gestorben ist.»
Ein paar Minuten später, als sie ins Stadtzentrum zurückkamen, das der Nebel verschluckt hatte, sagte Jane: «Bitte hilf mir, Lol. Irgendwie ist einfach alles total verkorkst.»
42
Die unsichtbare Kirche
Die goldfarbenen Nikoläuse über der Broad Street lenkten ihre Rentiere durch eine dicke Nebelsuppe. Die Laternen schimmerten wie rote Nebelwarnleuchten. Die blinkenden Elektrolampen über den Ladeneingängen wirkten wie die Lichter einer fernen Stadt.
Merrily, die mit der Kathedrale auf der einen und dem Bischofspalast auf der anderen Seite allein in ihrem Torhaus-Büro war, hatte sich etwas beruhigt, nachdem Lol angerufen hatte. Jane war keine drei Gehminuten entfernt bei Lol in der Wohnung über dem Laden, und vielleicht würde er herausfinden, wie eng ihre Verbindung zu der zarten und zerbrechlichen Rowenna, der Spezialistin für Priesterverführungen, wirklich war.
Merrily fand in Sophies Büro einen alten Heizstrahler und stellte ihn an. Sie sah zu, wie die beiden Heizstäbe mit leisen Knackgeräuschen langsam zu glühen begannen.
Sie dachte an den Teufelsanbeter, den man hier ganz in der Nähe aus dem Fluss gezogen hatte … an die Eingeweide der Krähe auf dem Altar in der ungenutzten Kirche … den Fluch Denzil Joys … den alten Exorzisten, der schweigend in seinem Krankenhausbett lag, um das ein Kreidekreis gezogen worden war. Und natürlich dachte sie immer wieder an Rowenna.
Verbindungen?
Gab es welche? Gab es keine? Gab es ein paar?
Nach einer Weile sah sie Huw in Pudelmütze, Schal, Armeemantel und mit seiner schwarzen Exorzisten-Tasche in der Hand aus dem Nebel auftauchen. Sie fragte sich, wie viele Fragen er ihr wohl beantworten konnte.
Jane hatte beschlossen, Lols Wohnung zu putzen. Sie wischte Regale ab, hantierte mit Reinigungsmitteln und zerstörte höchst komplexe Spinnennetze in dunklen Ecken.
Ein Reinigungsritual, dachte Lol.
Als sie ins Stadtzentrum gekommen waren, hatte Jane gefragt, ob sie kurz nach Credenhill fahren könnten. Es war das Dorf, in dem der Dichter Thomas Traherne im siebzehnten Jahrhundert Pfarrer gewesen war und in dem bis vor kurzem der SAS seine Basis gehabt hatte. Kurz bevor die Dämmerung einsetzte, hatten sie das respektable, allerdings ziemlich kleine Haus gefunden, in dem Rowennas Familie lebte. Bis zum letzten Moment hatte Jane gehofft, eine großartige Villa mit einem weitläufigen Privatpark vorzufinden.
Sie hatte das Haus ziemlich lange betrachtet, in dessen Wohnzimmerfenster ein kleiner Weihnachtsbaum blinkte. «Warum hat sie gelogen? Warum hat sie gedacht, es wäre wichtig für mich, ob sie in einem Herrenhaus oder in einem Zelt wohnt? Warum
lügt
sie ständig?»
Auf dem Rückweg dachte Lol über das nach, was ihm Merrily am Telefon über Rowennas Sexgeschichten erzählt hatte. Im
Slater’s
hatte er einen kurzen Blick auf das Mädchen geworfen. Rowenna war blass und wirkte zart und zerbrechlich – so zerbrechlich wie Glas.
Als sie in seiner Wohnung angekommen waren, hatte er Jane erzählt, was in Salisbury passiert war.
Jane hatte schweigend und mit ausdrucksloser Miene zugehört. Dann war sie aufgestanden und hatte gesagt: «Diese Wohnung ist in einem ekelhaften Zustand.»
Lol hatte sich mit Anne Ross’
Keltischem Heidentum
in den Sessel gesetzt und Jane den Küchenfußboden vom Schmutz und sich von ihren Illusionen befreien lassen. In dem Buch stand, dass Krähen-Göttinnen ausnahmslos Tod und Unglück prophezeiten.
Schließlich kam Jane mit vor Anstrengung und Anspannung gerötetem Gesicht aus der Küche.
Lol legte das Buch weg.
«Nach alldem kann ich unmöglich einfach so
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