Mittwinternacht
hatte. Es war erstaunlich, dass es nicht einmal ein Jahrhundert gedauert hatte, um diejenigen, die an Geister glaubten, ins Land der Spinner und Geisteskranken zu verbannen.
Huw blätterte weiter und schob Merrily dann das aufgeschlagene Buch hin.
(3) DÄMONEN UND BEKANNTE ERSCHEINUNGEN
Ein Dämon in der Kathedrale
Die sehr seltsame Geschichte von der Erscheinung eines Dämons in der Kathedrale ist von Bartholomew de Cotton überliefert. Der Vorfall soll AD 1290 stattgefunden haben.
Ein nie gehörtes und beinahe unmögliches Wunder trug sich in der Kathedralkirche der Kanoniker von Herefordzu. Dort saß nach der Frühandacht ein Dämon im Gewand eines Kanonikus im Chorgestühl. Ein Kanonikus, der den Dämon für einen Mitbruder hielt, fragte ihn, warum er dort sitze. Der Dämon verweigerte die Antwort und schwieg. Der Kanonikus wurde von Angst ergriffen, denn er hielt den Dämon für einen bösen Geist. Doch dann setzte er sein Vertrauen in den Herrn und befahl dem Dämon im Namen Christi und Sankt Thomas de Cantilupes, sich nicht von der Stelle zu rühren. Eine ganze Weile wartete er tapfer auf ein Wort. Doch als er keine Antwort erhielt, holte er schließlich Hilfe herbei, schlug den Dämon und legte ihn in Fesseln. Nun liegt er im Gefängnis des vorerwähnten St. Thomas de Cantilupe.
Merrily sah auf. «Wer war Bartholomew de Cotton?»
«Keine Ahnung.»
«Wo ist das Gefängnis von St. Thomas?»
«Das weiß ich nicht. Bischöfe hatten jedenfalls eigene Gefängnisse.»
«Und was soll das alles bedeuten?»
«Das kann ich nicht sagen. Es könnte eine allegorische Erzählung sein, um den Klerus anzugreifen: Ein einfacher mittelloser Vagabund geht in die Kathedrale, schnappt sich einen Habit, damit er nicht friert, und dann blasen sie die Geschichte wahnsinnig auf und reagieren vollkommen übertrieben.»
«Oder?»
«Oder es könnte der erste erhaltene Bericht über den
Invasor
sein.»
Merrily wurde bewusst, dass sie einen hohen, leisen Dauerton hörte. Vermutlich würde gleich der Glühfaden der Schreibtischlampe durchbrennen.
Jetzt verstand sie, weshalb Huw all diese idiotischen Wörterbenutzte.
Besucher, Anhalter, Ruhelose.
Die Alternativen klangen viel zu biblisch, zu unheilvoll.
Und zu lächerlich?
«Unter einem
Invasor
», sagte Merrily, «verstehen Sie also einen Dämon mit engem Wirkungskreis, einen bösen Geist mit festem Wohnsitz.»
«Wenn wir es wissenschaftlich ausdrücken wollten, würde ich so etwas wie
potenziell böswilliges, halb empfindungsfähiges Kraftfeld
zusammenschustern. Ich hätte auch
Schläfer
dazu sagen können, aber das klingt nicht bedrohlich genug. Sie wissen doch, was man beim Geheimdienst unter einem Schläfer versteht?»
«Das ist so eine Art Spion mit Tiefenwirkung, oder? Er wird Jahre vorher in irgendein Land eingeschleust, um bei Bedarf aufgeweckt zu werden.»
Tiefenwirkung, das gefiel Huw. Es klang, als ob etwas so tief in eine fremde Umgebung eindringen würde, dass es beinahe ein Teil ihrer selbst wurde. Es konnte jahrhundertealt werden und nur von Menschen mit besonders feinen Antennen wahrgenommen werden.
«Wie ein
Abdruck
», sagte Merrily.
«Plus böse Eigenschaften. Das Böse schart sich
um
heilige Orte, wie wir gesagt haben. Der verdorbenste Grund und Boden, so wurde es einmal ausgedrückt, befindet sich direkt hinter der Friedhofsmauer. Wenn es allerdings erst einmal
eingedrungen
ist, hat man teuflisch zu tun, um es wieder loszuwerden.»
«Aber wenn Sie annehmen, dass es ein böser Geist war, wie konnte dieser Kanonikus ihn dann schlagen und in Fesseln legen? Das deutet doch mehr auf Ihre erste Erklärung hin – dass der Kanonikus einen Vagabunden festgesetzt hat, der sich einen Habit gestohlen hatte.»
«Es könnte auch im übertragenen Sinn gemeint sein. Dannwäre der Kanonikus in der Lage gewesen, den Dämon zu besiegen, indem er die Kraft des Herrn und …»
«St. Thomas Cantilupes einsetzte.»
«Genau», sagte Huw. «Und da haben wir die Verbindung – den Schlüssel zu allem.»
Das Sirren in der Glühbirne machte sie nervös. Es war, als würde ein dünner Draht in ihrem Kopf mitschwingen.
«Thomas Cantilupe.» Huw lehnte sich zurück, und sein Stuhl knarrte. «Das war ein richtig harter Hund.»
Die normannische Freiherrensippe, die Jahre in der Politik, der Wunsch, Soldat zu werden. «Und man könnte sagen, dass er auch später Soldat geblieben ist», sagte Huw. «Er hat seine strenge Disziplin mitgebracht, als er
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