Mittwinternacht
müssen den Gottesdienst beenden, die Leute aus der Kirche schicken, die Türen abschließen und es mich einfach … tun lassen.»
Er starrte auf sie hinunter, und obwohl es zu dunkel war, um seinen Gesichtsausdruck zu erkennen, spürte sie seine Ablehnung und seine Fassungslosigkeit.
«Na gut», sagte sie. «Warum fragen Sie nicht einfach Gott, was Sie tun sollen? Warum knien Sie sich nicht vor Ihren Hochaltar, halten Einkehr und fragen Ihn? Fragen Sie Ihn, ob er mit diesen Ereignissen glücklich ist.»
Der Bischof rührte sich nicht. Nur sie beide standen im Altarraum. Dann fiel Merrily das Kreuz aus den Händen, und sie bückte sich, um es aufzuheben.
«Ich habe einen Fehler gemacht», sagte Mick Hunter. «Ich habe mit Ihnen einen Riesenfehler gemacht.»
Sie richtete sich auf. «Sieht ganz danach aus.»
«Erinnern Sie sich daran, was ich Ihnen gestern Abend geantwortet habe, als Sie mich fragten, ob ich möchte, dass Sie sich vom Amt der Beraterin für spirituelle Grenzfragen zurückziehen?»
«Sie haben gesagt, ich soll mich lieber in Ruhe ausschlafen und das Gespräch vergessen.»
«Und?»
«Ich konnte nicht schlafen.»
«Also gut», sagte er. «Dann reichen Sie Ihre Verzichtserklärung morgen noch schriftlich nach.»
«Mick …»
«Bischof», sagte er. «Das scheint mir jetzt angemessener.»
Jane hörte ihn atmen, also konnte sie ungefähr abschätzen, wo er war – sein Atem füllte irgendwie fast die gesamte beängstigende Dunkelheit hier unten aus. Sie hatte ihren Mantel aufgeknöpft und schirmte damit die Kerze ab. Als sie versehentlich in die Flamme griff, hätte sie beinahe aufgeschrien.
Christus sei bei mir
, hörte sie in ihrem Kopf. Moms Stimme.
Mom sei bei mir
– das würde jetzt wahrscheinlich mehr bringen!
Sie wiederholte die Worte immer wieder, wie ein Mantra, wie um sich daran festzuhalten, um die Angst niederzukämpfen, wie die armen, todgeweihten Soldaten, die im Ersten Weltkrieg den
Harnisch
gebetet hatten, als sie in den Schützengräben lagen.
Christus sei bei mir.
Sie ging dem Atemgeräusch nach, das sich jetzt beschleunigte und von Keuchen und Schnauben unterbrochen wurde. Krass. Was
war
das? Vielleicht sollte sie lieber wieder zurückgehen und sich jemanden zur Unterstützung holen. Aber bei dem Stromausfall würde es vermutlich ewig dauern, bis sie jemanden mit einer Taschenlampe hier runterbrachte, und dann wäre alles längst vorbei, egal, was es war. Als ob sie es sich nicht denken könnte.
Sie rief: «Keine Bewegung!» Gleichzeitig zog sie die Kerze hinter dem Mantel hervor und hielt sie so hoch sie nur konnte.
Hunderte Schatten tanzten durch die Krypta, und mittendrin starrte sie James Lyden mit weit aufgerissenen Augen erschrocken an.
«Oh!» Jane wich angewidert zurück.
Ein Bein des Kinderbischof lag über dem Steingesicht einer vorlangem verstorbenen Frau. Sein Messgewand verdeckte Rowenna, und als sie ihren Kopf hervorstreckte, wirkte das einen Moment lang so absolut lächerlich, dass Jane befreit auflachte.
«Ihr seid echt zum Kotzen!»
Trotzdem war sie nervös. Jane wusste, dass diese Szene hier nicht einfach ein unverschämter Witz war – der Kinderbischof in vollem Ornat; mit Ausnahme der Unterhose vermutlich. Das hier war ein vorsätzlich geplantes Sakrileg. Und es sollte ein unheiliges Echo hervorrufen.
Nichts wie raus hier.
Jane wandte sich um und wollte zur Treppe laufen.
Doch stattdessen lief sie gegen eine Wand. Als sie sich wieder umdrehte, verstellte ihr Rowenna schon den Weg zur Treppe, und dann legte sich auf einmal James’ Arm von hinten um ihren Hals, und sie spürte seinen keuchenden Atem im Genick.
Jane schrie auf.
Rowenna wand ihr die Kerze aus den Fingern.
«Oh, Kleine», sagte sie mit gespieltem Bedauern. «Was sollen wir jetzt bloß mit dir machen?»
Jane starrte sie wütend an. «Weiß unser Freund hier, dass du mit Danny Gittoes dasselbe treibst?»
Rowenna, die zwischen ihnen die Kerze hochhielt, wirkte vollkommen unbesorgt.
Jane sagte: «Und weiß er auch von diesen Kirchenleuten in Salisbury?»
Rowenna schüttelte traurig den Kopf.
«Ich weiß alles über dich», fuhr Jane fort. «Ich weiß ganz genau, was du bist.»
Rowenna lächelte mitleidig. «Du hast keinen Schimmer, worum es geht, oder? Wenn du wissen willst, was
ich
bin, sage ich es dir:
Ich
bin eine Frau. Aber du bist immer noch ein kleines Mädchen, das von nichts eine Ahnung hat.» Sie schüttelte den Kopf.Wenn man sie genau ansah, erkannte man
Weitere Kostenlose Bücher