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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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packte Merrilys Arm. «Bitte.»
    «Doch jetzt kann ich es.» James sah auf. Sogar aus der Entfernung sah man, wie sehr seine Augen strahlten. Stand er unter Drogen? «Jetzt kann ich für mich selbst sprechen.»
    «Lassen Sie es nicht zu. Halten Sie ihn auf, Merrily – oder ich tue es selbst.»
    «Gut.» Merrily zog das Kreuz unter ihrem Umhang hervor. Es spielte keine Rolle, was irgendwer von ihr dachte. Oder wie der Bischof reagieren würde, denn er hatte ihr seinen Standpunkt schon klar genug gemacht. Das Schlimmste, was passieren könnte   …
    Nein, das Beste, was passieren könnte!
    … wäre, dass sie sich endgültig zum Narren machen würde und sich niemals mehr in Hereford blicken lassen könnte. Oder in Ledwardine.
    Sie knöpfte den Kragen ihres Umhangs auf und ging durch den Mittelgang auf James Lyden zu.
    Als James sie bemerkte, zuckten seine Lippen vor Erregung.Sie ging einfach weiter, obwohl ihre Beine unter ihr nachgeben wollten.
    Die Leute starrten sie an. Geflüster und Gemurmel lief durch die Bänke. Merrily hielt ihren Blick unverwandt auf James Lyden gerichtet.
    Der sich in all seiner Würde und Pracht erhob.
    Dessen Stimme lauter wurde.
    Der sagte: «Aber, wie wir heute Abend alle erfahren haben, gibt es einen, der viel   … wortgewandter ist als ich. Und sein Name ist   … sein Name ist   …»
    «Nein!»
    Merrily ließ den Umhang von den Schultern gleiten, hob das Kreuz und ging direkt auf den Kinderbischof zu, den Blick in diese starren, glänzenden, verdorbenen Augen unter der Mitra versenkt.

52
Ein kleines Leuchten
    Lol sah sich selbst mit Moon am Fuß der Wallsiedlung von Dinedor. Sie beerdigten die Krähe, seine Hand war mit Blut und Innereien verklebt   … für ihn war dieser Anblick der erste Makel in dieser Idylle. Er sah, wie Moon sich mit bebenden Schultern abwandte. Etwas war in ihr wiedererwacht.
    «Haben Sie jemals gesehen, wie sie eine Krähe anlockte?», fragte Anna Purefoy. «Das Tier konnte fünfzig, ja sogar hundert Meter entfernt sein, und sie legte ihre Hände um den Mund und machte ein kehliges, gurrendes Geräusch. Und die Krähe flatterte wie ein schwarzer Fleck von ihrem Baum auf, um zu ihr zu fliegen. Ich glaube nicht, dass sie wusste, was sie da eigentlich tat – oder sich überhaupt bewusst war, dass sie es tat, bis es schließlich passierte.»
    «Sie ist mir tot vor die Füße gefallen. Direkt vom Himmel herunter. Ist das nicht unglaublich?»
    «Diese Fähigkeit besaß sie schon immer», fügte Tim hinzu. «Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass sie ein ganz besonderer Mensch war.»
    Lol warf einen Blick auf das blutbespritzte Foto von Moon über dem Kamin. Er kannte das Bild nicht; sie mussten es selbst aufgenommen haben. Athena White hatte ihm erklärt, wie sie Fotos und Erinnerungsstücke von Toten verwendeten, um die Visualisierung zu unterstützen.
    Er wandte sich wieder den Purefoys zu. «Möchten Sie beide sich nicht lieber setzen?» Er traute ihnen nicht. Er stellte sich vor, wie Anna Purefoy sich unvermittelt auf ihn stürzte wie eine Kobra.
    «Wie Sie wollen.» Sie ließ sich auf einem der Korbstühle nieder. Tim zögerte einen Moment und setzte sich dann auf den hölzernen Thron mit der hohen Rückenlehne.
    «Nachdem sie tot war», sagte Lol, «haben Sie diesen Ausschnitt aus den
Hereford Times
neben das Telefon gelegt, sodass man ihn für eine Art Abschiedsbrief halten musste. Moon hat diesen Artikel gar nicht gekannt, oder?»
    «Das spielt keine Rolle.» Tim gähnte. «Der Artikel ist ein vollkommen belangloses Detail.»
    Lol setzte sich in einigem Abstand zu ihnen auf den anderen Korbstuhl.
    «Und wie haben Sie Moon umgebracht?»
    «O wirklich!» Anna beugte sich vor. Im Licht des Kaminfeuers wuchs ein dunkler Schatten zwischen ihren Brüsten empor.
    «Darling   …»
    «Nein, das höre ich mir nicht an. Mord ist ein Verbrechen. Wir haben Katherine nicht umgebracht. Wir haben ihr nur den Weg gezeigt, für den sie bestimmt war, und sie ist ihn gegangen – im Einklang mit den keltischen Bräuchen. Wir haben stundenlangmit Katherine gesprochen. Sie hat sich in der Gegenwart nie zu Hause gefühlt – in dieser kommerzialisierten, profanen Welt, dieser unberechenbaren Welt, diesem furchteinflößenden Abschnitt der Geschichte. Sie wusste, dass sie nicht hier sein wollte, und sie suchte nach einem Weg
zurück

    «Schwachsinn», sagte Lol, obwohl er wusste, dass es keiner war.
    «Abgesehen davon», sagte Anna, «ist der Tod für die Kelten der

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