Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
Schrein, der größte Schatz dieser Kathedrale, heute in seine Bestandteile zerlegt, doch wir wissen, dass James noch einmal wiederkommen wird, wenn das Grabmal in seinem alten Glanz wieder errichtet ist.»
    Darauf würde ich nicht wetten
, dachte Jane.
    James stellte seine Kerze auf einer Werkbank ab und beugte sich ehrfürchtig hinab, um einen Stein des Grabmals zu küssen. Jane schätzte, dass er schon eine ganze Weile die Spucke im Mund gesammelt haben musste, die er jetzt in einem ekelhaften, glibbrigen Strom auf den Stein laufen ließ.
    Als er sich wieder aufrichtete, wurde Jane beinahe schlecht. Ihr war irgendwie seltsam zumute, und sie bekam Angst; ihr Bauchgefühl sagte ihr unmissverständlich, dass etwas Böses im Gange war. Sie schnappte nach Luft, denn das Böse schien nach ihr zu greifen, ihr die Kraft aus dem Körper zu saugen. Am liebsten wäre sie weggelaufen, doch sie wusste nicht, ob ihre Beine sie noch tragen würden. Sie ließ sich an den kalten Stein des Spitzbogenssinken. Sie fühlte sich beschmutzt. Nicht so sehr durch das, was sie gesehen hatte, als durch ihre Erkenntnis dessen, was es bedeutete. Sie suchte nach den Worten, die sie vor dem Altar von Ledwardine gesprochen hatte, als Mom ihre Hände gehalten hatte.
     
    Christus sei bei uns, Christus sei in uns.
     
    Und dann gingen die Lichter aus.
     
    «Sieh mal, Darling», sagte er, «es ist Mr.   Robinson. Du erinnerst dich doch an Mr.   Robinson.»
    Tim Purefoy hielt ein großes Glas Rotwein vor seinem weißen Messgewand.
    Anna trug ein einfaches schwarzes Kleid mit ziemlich tiefem Ausschnitt. Sie war eine sehr schöne Frau und strahlte ihre Sinnlichkeit wie einen Pesthauch aus. Wie eine Aura, dachte Lol.
    «Wissen Sie», sagte sie, «ich habe immer geglaubt, dass eines Tages jemand kommen würde. Aber an Sie habe ich dabei nicht gedacht.»
    «Eher an den Bruder.» Tim ließ sich mit einem dankbaren Seufzer auf dem thronartigen Stuhl nieder. «All sein Zorn und seine Wut verrauchen am Ende zu nichts – wie bei den meisten anderen auch.»
    «Oder die Exorzistin», sagte Anna. «Janes Mutter. Ich hätte sie so gerne kennengelernt, bevor wir weiterziehen.»
    «An diesen kleinen Mann hier haben wir jedenfalls nicht gedacht. Wirklich nicht. Stille Wasser sind tief, was?» Ein Mondstrahl fiel wie eine kompakte zinnfarbene Bahn vom Fenster aus ins Zimmer und erreichte fast Tim Purefoys weiße Locken. Er hielt eine dunkle Flasche ohne Etikett hoch. «Ein Glas Wein, alter Junge?»
    «Nein danke», sagte Lol gepresst. «Ich scheine hier etwas   … zu unterbrechen.» Seine Worte schienen wie in Zeitlupe aus seinem Mund zu kommen, wie es manchmal in Träumen passiert, so als ob der Atem, der die Worte trägt, sich erst seinen Weg durch die Atmosphäre bahnen müsste.
    «Ganz und gar nicht.» Tim Purefoy trank in aller Ruhe einen großen Schluck Wein. «Es ist vorbei. Es ist erledigt. Wir freuen uns sogar über Ihre Gesellschaft, nicht wahr, Darling?»
    «Erledigt?»
    «Jetzt kommen Sie schon, Mr.   Robinson   …» Tim stellte sein Glas ab, zog sich mit beiden Händen das Messgewand über den Kopf und ließ es auf den Fliesenboden fallen. «Sie müssen irgendeine Vorstellung davon haben, worum es uns geht, sonst wären Sie schließlich nicht hier.»
    Anna Purefoy brachte Lol einen Stuhl und blieb vor ihm stehen, bis er sich setzte. Er kam sich vor, als sollte er exekutiert werden – oder geopfert? Anna wirkte sehr jung, fit und erregt, so als hätte sie gerade Sex gehabt. Sie musste um die sechzig sein, machte Lol sich klar. «Möchten Sie bestimmt kein Glas Wein?»
    Bevor Sie sterben?
    «Messwein?», sagte Lol.
    Tim Purefoy lachte. «Mit einem Spritzer Fledermausblut.»
    «Das ist unser Pflaumenwein, Sie Kindskopf.» Anna ließ sich von ihrem Mann die Flasche geben und streckte sie Lol entgegen. «Sehen Sie? Sie sollten wirklich nicht alles glauben, was Sie über Leute wie uns lesen.»
    Lol erinnerte sich daran, wie sie ihre mehligen Hände an der Schürze abgeklopft hatte.
«Man kann zwar in mindestens einem halben Dutzend Läden in der Stadt wunderbares Brot kaufen, aber wenn man in so einem alten Haus wohnt, fühlt man sich fast verpflichtet, selbst welches zu backen.»
    Lol fühlte sich beinahe entwaffnet von all dieser Alltäglichkeit,Höflichkeit und Häuslichkeit: Solche Kerzen in solchen Kerzenleuchtern fanden sich in sämtlichen besseren Habitat-Filialen. Er blinzelte und zwang sich, an Katherines erstarrenden Körper im blutigen

Weitere Kostenlose Bücher