Mittwinternacht
wir nicht machen!», hörte sie jemanden sagen.
«Los, tu’s endlich!»
Rowenna? Jetzt fürchtete sich Jane richtig.
Ich muss aufstehen
. Sie schlug die Augen auf und blickte direkt unter sich in ein anderes Gesicht mit steinernen Augenlidern.
Sie hatten sie auf eines der Grabmale gelegt.
Jane versuchte, ihren Kopf von diesem Steingesicht zu heben. Doch es gelang ihr nicht, sie fühlte sich so schwer, als hätte jemand sämtliche Fragmente des St.- Thomas-Schreins über ihr aufgetürmt.Dann wurde die Kerze etwas in die Höhe gehalten, und sie wurde noch weiter auf den steinernen Sarg geschoben. Jane spürte steinerne Lippen unter ihren.
«Man soll Kerzen nie unbeaufsichtigt brennen lassen», sagte Rowenna. «Schlechte Neuigkeiten für dich, Kleine. Nacht-Nacht dann mal.»
Dann explodierte ein unglaublicher Schmerz in Janes Hinterkopf.
Die Zeit verging. Es gab keine Stimmen mehr.
Nur noch Rauch.
Rauch in ihrer Kehle. Ihr ganzer Kopf war voller Rauch – und voller Worte. Und Mom flüsterte …
«Lass mich nicht fliehen Deine Liebe
und bewahre mich vor den Kräften des Bösen.»
Aber Mom war nicht da. Es war nur ein Mantra in Janes Kopf.
«Gott sei Dank», knurrte George Curtiss auf der Kanzel, als die Lichter wieder angingen.
Aus dem Kirchenschiff erklang Lachen – halb beunruhigt, halb erleichtert –, während Georges Worte von dem Lautsprecher verstärkt wurden, der auf einmal wieder funktionierte.
«Also … wir wissen nicht, was diesen Stromausfall verursacht hat, aber er kam leider in einem sehr unpassenden Moment. Nun ja … er hat unserem Kinderbischof zumindest gezeigt, dass das Leben als Kleriker nicht frei von Überraschungen ist.»
Der Kinderbischof stand mit gesenktem Kopf vor dem Hauptaltar unter der Corona. Mick Hunter stand hinter ihm und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt.
«Wir danken Ihnen allen für Ihre Geduld.»
Merrily stand ziemlich weit hinten im Mittelgang und sah sichnach Jane um. Inzwischen machte sie sich große Sorgen.
Das ist alles, was zählt, oder? Das ist alles, was es gibt.
Irgendetwas stimmte nicht. Noch irgendetwas stimmte nicht. Der Strom war wieder da. Trotzdem … das Licht erschien ihr trübe. Waren bei dem Stromausfall vielleicht ein paar Birnen durchgebrannt? Die runden Punktstrahler oben in dem weiten Gewölbe hatten keine Leuchtkraft, sie wirkten isoliert wie eine hässliche Sicherheitsbeleuchtung auf einem Industriegelände.
«Wir schlagen vor», sagte George, «nun mit der Zeremonie fortzufahren, also mit dem Gebet und der Predigt des Kinderbischofs. Also … vielen Dank.» George Curtiss stieg von der Kanzel.
Merrily hatte das Gefühl, als würde sich eine Atmosphäre der Trostlosigkeit, des Verfalls und des Todes ausbreiten – als hätte sich unter dem Schutz der Dunkelheit etwas eingeschlichen und etwas anderes wäre weggeschafft worden.
Merrily hielt unter ihrem Umhang das Kreuz fest, als der Chor erneut den Choral anstimmte, mit dem die Zeremonie eröffnet worden war.
Dann tauchte Sophie auf. «Was ist passiert?»
«Sophie, haben Sie Jane gesehen?»
«Nein, tut mir leid. Merrily, was hat Michael zu Ihnen gesagt?»
«Einfach ausgedrückt, hat er mich gefeuert.»
«Aber er kann doch nicht einfach …»
«Er kann.»
«Geben Sie nicht auf, Merrily», sagte Sophie. «Sie dürfen nicht aufgeben.»
«Was soll ich denn machen?»
Mick hatte sich in die Schatten des Altarraums zurückgezogen. James Lyden, der Bischof von Hereford, saß allein auf einem Schemel. Er hielt ein paar Notizen in der Hand und wartete darauf, dass der Chor seinen Gesang beendete.
«Ich mag diesen Jungen nicht», sagte Sophie.
Der Choral ging mit einer kaum merklichen Disharmonie zu Ende, die gerade deshalb umso beunruhigender wirkte. Fürchteten sich die Chorknaben vor irgendetwas? Im Gegensatz dazu klang James Lydens Stimme beinahe schockierend klar, artikuliert und selbstbewusst: Er war der geborene Redner.
«Vorhin, als ich meinen Eid ablegte, fragte mich Seine Hochwürden, der Bischof, ob ich die Versprechen erfüllen würde, die bei meiner Taufe für mich gegeben wurden.»
«Sie müssen ihn aufhalten», murmelte Sophie.
«Das kann ich nicht. Stellen Sie sich vor … Stellen Sie sich vor, es ist gar nichts.»
«Natürlich», sagte James, «erinnere ich mich nicht an meine Taufe. Ich war damals noch viel zu klein, um für mich selbst zu sprechen, also wurden die Versprechen an meiner Stelle gegeben.»
Sophie
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