MK Boeckelberg
mitfühlend an.
»Wann kann sie nach Hause?« Franks Stimme klang brüchig. Zuhause: Was war das? Ihre Wohnung? Ihr Haus? Wo sollten sie hin? Lisa würde immer an ihr Kind erinnert werden. Selbst in einer neuen, leeren Wohnung ohne Laufstall, ohne Teddybär, ohne Kinderlachen.
»Kommen Sie, Herr Borsch, ich rufe Ihnen ein Taxi.«
* * *
Frank schreckte hoch. Sein Atem ging schnell. Keuchend wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. Er hatte geträumt. Unsicher sah er sich im Zimmer um. Lisa war nicht da. Außerdem lag er in seinem eigenen Bett. Das Oberbett war schweißnass. Er lüftete die Decke, aber er fühlte keine Kühlung.
Wie lange hatte er geschlafen? Müde rollte er sich zur Seite, um den Radiowecker besser sehen zu können. Die digitale Anzeige verschwamm vor seinen Augen. Er rieb sich über die Augen, aber die Zahlen blieben unscharf. Mit einem Stöhnen ließ er sich auf das Bett zurückfallen.
Lisa. Der Gedanke an sie ließ ihn wieder auffahren. Lisa hatte ein totes Kind zur Welt bringen müssen. Der Arzt musste einen Fehler gemacht haben und versuchte nun, seine Schuld zu vertuschen! Anders konnte es nicht sein. Bisher hatte es nicht die kleinsten Anzeichen für irgendwelche Schwierigkeiten gegeben. Da stimmte etwas nicht. Ein Ungeborenes starb nicht einfach so. Dafür musste es Gründe geben. Und dieser Gynäkologe müsste schon verdammt gut sein, wenn er da unbeschadet herauskommen wollte. Das schwor Frank sich.
Mühevoll setzte er seine Füße auf den Boden und wankte in die Küche. Sie sah aus wie immer. Nur im Spülbecken stapelte sich schmutziges Geschirr. In den vergangenen Tagen hatte er keine Kraft gehabt, Ordnung zu halten. Er hielt ein Glas unter den Wasserhahn und ließ es volllaufen. Mit großen Schlucken trank er es leer. Hart setzte er es anschließend auf die Anrichte. Er nahm aus der Schachtel mit dem Schlafmittel zwei Tabletten und spülte sie mit neuem Leitungswasser hinunter. Anschließend ging er ins Wohnzimmer. Dort stand eine Flasche Whisky und ein Wasserglas auf dem Couchtisch. Er goss es gut zur Hälfte voll und trank es ohne abzusetzen aus. Er musste husten. Der Alkohol brannte auf seiner Zunge und auf seinen Schleimhäuten. Frank schüttelte sich und sah zum Fenster. Die Vorhänge waren halb zugezogen. Er rieb sich über sein Kinn und fühlte trotzdem die Bartstoppeln nicht. Auf dem Weg zurück in sein Bett sah er, dass die HiFi-Anlage noch eingeschaltet war. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er Musik gehört hatte. Aber es interessierte ihn auch nicht. Nichts interessierte ihn mehr. Er versuchte an Lisa zu denken. Er musste Lisa besuchen. Er musste Lisa aus dem Krankenhaus holen. Aber er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. Er fiel in einen tiefen Schlaf, der seine Gefühle betäubte. Bis zum nächsten Erwachen.
* * *
»Wie geht es Frank?« Heinz-Jürgen Schrievers sah Ecki über den Rand seiner goldfarbenen Brille hinweg besorgt an.
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Er geht nicht ans Telefon. Er reagiert nicht auf mein Klingeln. Ich habe keine Ahnung. Seine Nachbarn sagen, dass es in der Wohnung seit zwei Tagen still ist. Sie haben nicht gesehen, dass er das Haus verlassen hat. Außerdem steht sein Wagen noch vor der Tür. Ich weiß nicht, was mit ihm ist. Ich werde nachher noch einmal bei ihm vorbeifahren. Außerdem will ich mit diesem Chefarzt der Frauenklinik sprechen. Er soll mir erklären, was passiert ist. Dann will ich Leenders anrufen. Vielleicht kann er mir aus Sicht des Pathologen den Fall ein bisschen aufhellen.«
»Und Lisa?« Schrievers setzte sich vorsichtig auf Franks Bürostuhl.
»Sie lassen niemanden zu ihr. Auch nicht ihre Eltern.«
»Das geht doch nicht so einfach, oder?« Schrievers nahm seine Brille ab und ließ sie an ihrer Schnur baumeln.
»Sie sagen, dass sie in einem sehr kritischen Stadium ist. Sie habe noch gar nicht richtig realisiert, was genau passiert ist.«
Schrievers schluckte. »Arme Lisa. Gertrud würde sie so gerne besuchen und ihr beistehen. Aber das geht wohl noch nicht.«
»Marion wollte auch schon zu ihr ins Krankenhaus. Aber ich habe ihr gesagt, dass sie doch nicht zu ihr gelassen würde.«
»Was ist mit Frank? Er ist doch gar nicht in der Lage, an den Fällen weiterzuarbeiten, in seiner Verfassung.«
Ecki drehte sich auf seinem Stuhl langsam hin und her. »Ich habe im Moment keine Lösung parat. Ich bin völlig platt. Ich weiß nur, dass er im Augenblick nicht belastbar ist. Ich habe mit dem
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