MK Boeckelberg
akzeptieren wollen, dass ihnen das IEA-Projekt den Todesstoß versetzen wird.«
»Das sind schon mal die ganz falschen Vokabeln, Feusters. Es geht hier nicht um ›Todesstöße‹ oder ›Katastrophen‹. Die Rheydter wollen nicht die Gesetze des Marktes akzeptieren. Es wird ein paar Verschiebungen der Käuferströme geben. Das ist alles. Nichts Dramatisches. Die Rheydter wollen uns ihre eigenen Versäumisse in die Tasche schieben. Die Stadt ist doch seit Jahren tot. Nichts ist gemacht worden, um das Sterben der Läden aufzuhalten. Die Rheydter müssen endlich kapieren, dass die Stadt Mönchengladbach langfristig nur ein Stadtzentrum haben kann. Und das wird sich um IEA gruppieren. So ist das nun mal im Leben. Und Sie, Feusters, werden mit einem Konzept dafür sorgen, dass die Rheydter das endlich kapieren. Wie gesagt, Sie haben bis morgen Zeit.«
Dirk Feusters ballte die Faust. Hünner ging entschieden zu weit. Es gab nichts, womit man den aufgebrachten Einzelhandel würde zur Ruhe bringen können. Dafür waren die Fakten zu eindeutig. »Ich fürchte, dass Sie nur weiterkommen, wenn Sie zu den Entwicklungen in Sachen IEA stehen, Herr Hünner. Ja, gehen Sie den Schritt nach vorne. Erzählen Sie den Menschen in Rheydt, dass es ein schmerzlicher Schnitt werden wird, wenn die IEA baut. Aber dass es auch eine Chance ist zur Neuorientierung der Geschäftslandschaft in Rheydt. Sagen Sie das den Leuten. Sie werden auf herben Widerstand stoßen. Aber am Ende werden Sie die besseren Argumente haben. Denn was werden die Rheydter schon ausrichten können? Nichts. Sie werden sich in ihr Schicksal fügen müssen. Wenn Sie Ihnen dann noch großzügig Hilfe bei der Suche nach neuen Strukturen und Konzepten anbieten, werden Sie irgendwann als der Mann mit Visionen gefeiert werden. Davon bin ich fest überzeugt. Und diese Haltung und diese Strategie ist die einzige, die ich Ihnen empfehlen kann, weil sie die einzige ist, die Erfolg haben wird.«
Hünner war stehen geblieben, um sich auf Feusters Worte konzentrieren zu können. »Ich merke schon, Sie haben einen ersten guten Ansatz gefunden. Nur das mit dem ›Widerstand‹ gefällt mir nicht. Auch die Rheydter sollen mich wählen. Was meinen Sie, was mir meine Fraktionskollegen erzählen, wenn ich die nicht auf Kurs bringe. Aber, wie gesagt, ich merke schon, Sie sind mit Ihren Gedanken auf dem richtigen Weg. Ich verlasse mich auf Sie. Kein Wort von ›Widerstand‹ oder ›Katastrophe‹, wenn wir morgen über das richtige Vorgehen sprechen.« Hünner lachte. Aber es klang unsicher und verzweifelt.
»Ich werde mich nachher mal hinsetzen und überlegen. Aber vorher muss ich noch meine Termine für heute verschieben. Ich kann nur hoffen, dass mir das gelingt.«
Was geht mich das an?, dachte Hünner. »Ich wusste doch, dass Sie flexibel sind. Ich werde im Erfolgsfall sicher an Sie denken. Wenn Sie wissen was ich meine.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Herr Hünner.« Feusters hätte kotzen können.
»Also, dann, bis 16 Uhr. In meinem Büro.« Ohne auf eine Antwort zu warten, kappte Hünner mit einem Knopfdruck die Leitung. Lange betrachtete er das Whiskyglas in seiner Hand und ging dann zum Couchtisch, um sich nachzugießen.
* * *
Frank drehte sich um und stöhnte. Noch halb benommen fuhr er sich mit seinen Händen durchs Gesicht. Seine stoppeligen Wangen waren hart wie Schmirgelpapier. Seine Augen waren verklebt. Mühsam versuchte er sich zu orientieren. Wo war er? Er tastete mit einer Hand um sich. Das Bett, sein Bett. Es roch vertraut und verbraucht. Er schob seine Hand weiter hin und her. Seine andere Bettseite war leer. Warum? Lisa! Lisa war nicht da. Warum nicht? Lisa konnte nicht in seinem Bett liegen. Lisa war im Krankenhaus. Das Kind. Das Kind war tot. Lisa durfte nicht zu ihm, er durfte nicht zu ihr. Er schreckte hoch. Lisa! Frank sah nur die offene Zimmertür und das zerwühlte Laken. Er musste zu Lisa.
Er kam nur langsam auf die Füße. Wie lange hatte er geschlafen? Er sah an sich herunter. Seit Tagen das gleiche T-Shirt, zerknitterte Boxershorts, nackte Füße. Seine Kopfhaut juckte.
Nur langsam kamen die Gedanken zurück. Er schlurfte ins Bad. Als er das Licht anmachte, erstarrte er. Auf dem Spiegel war mit Lippenstift ein Herz gemalt und ein »Melde mich.« Viola? Was war gestern Abend passiert? Frank stützte sich auf den Rand des Waschbeckens. Was war passiert? Er wusste es, verdammt noch mal, nicht mehr. Er konnte sich nicht erinnern. In seinem Kopf war eine
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