MK Boeckelberg
weiße Wand, war weißer Nebel.
Mühsam drehte er sich um und ging in die Küche. Auf dem Tisch standen zwei Gläser und lagen leere Weinflaschen. Sie hatten geredet. Stundenlang hatten sie geredet, die Gedanken daran waren wieder da. Sie hatten geredet über sich, über Lisa, das ganze Leben, über die toten Kinder, über Sabrina Genenger. Aber was war danach gewesen? In der Nacht? Er hatte geschlafen, er war wach geworden, allein. Aber war er tatsächlich alleine gewesen? Er ging ins Schlafzimmer zurück. Er schlug das Oberbett zurück. Aber er fand keine Spuren. Was hatte das zu bedeuten?
Sein Kopf schmerzte. Er suchte in der Küche nach Aspirin. Er warf zwei Tabletten in ein Glas mit Wasser und ging zum Fenster. Auf der Straße war es ruhig. Eine alte Frau trug schwer an zwei Einkaufstaschen. Ein Fahrradkurier rollte langsam vorbei. Zwei Mädchen mit Schultornistern hielten sich hüpfend an der Hand. Ein normaler Tag. Draußen. In seinem Inneren war der Tag nicht normal. Er lehnte seinen Kopf gegen die Fensterscheibe. Er musste beide Wirklichkeiten wieder übereinander bringen. Und zwar schnell. Er musste Klarheit haben über die vergangene Nacht! Er musste wissen, welcher Tag heute war. Er musste zu Lisa. Und er musste die Morde aufklären. Seine Kollegen brauchten ihn. Oder auch nicht. Frank drehte sich um und starrte in den Raum. Was sollte er im Präsidium? Er war zu ersetzen. Ob er nun Dienst machte oder nicht, der Tag im Präsidium würde auch ohne ihn funktionieren. Wer weiß, vielleicht sogar besser ohne ihn. Er trank in großen Schlucken. Nein, er musste seinen Kollegen helfen. Schließlich war er der Leiter der Mordkommission.
Frank ging durch die Küche ins Wohnzimmer und suchte das Telefon. Er musste Ecki anrufen. Er würde in spätestens einer Stunde im Präsidium sein. Und dann würden sie die Fälle noch einmal ganz von vorne aufrollen. Sie würden sich reinknien. Die MK Bökelberg würde nicht mehr lange arbeiten müssen. Wo war dieses Scheißtelefon? Frank fand es schließlich unter einem Sofakissen. Er tippte die ersten Zahlen. Als er im Display die Nummer seines Freundes wachsen sah, drückte er die Löschtaste. Nein. Nicht Ecki, nicht jetzt. Er musste zu Lisa. Er musste Lisa endlich aus der Klinik holen. Heute würden sie ihn zu ihr lassen müssen. Sie konnte nicht länger seinen Besuch verweigern. Sie würden gemeinsam trauern. Das würden sie. Er tippte die Nummer der Klinik. Aber auch jetzt drückte er auf die Löschtaste.
Frank setzte sich auf das Sofa und starrte auf den stummen Fernseher. Er sah wieder die alte Frau mit ihren schweren Einkaufstaschen und er sah die hüpfenden Mädchen. Angestrengt wartete er auf den Fahrradkurier. Aber der Bildschirm blieb dunkel.
* * *
»Ich selbst habe keine Artikel zu Carina Cloerkes gefunden. Aber ich habe mir welche besorgen können. Die Arbeit in der WM-Gruppe hat schon was für sich. Es geht doch nichts über Kontakte.« Schrievers drückte Ecki einige fotokopierte Artikel in die Hand. »Wobei, das habe ich mittlerweile schon recherchiert, Carina Cloerkes wohl nicht direkt aus Viersen kam. Sie kam mit ihrer Mutter aus Schaag. Vermutlich hat die Dame aus Jever etwas verwechselt. Oder Frau Cloerkes hat damals beim Umzug Karin Kornmann gegenüber Viersen als nächstgrößere Stadt genannt. Jedenfalls ist klar, dass die beiden in Schaag gewohnt haben, nahe der Kirche.« Schrievers zögerte. »Viel ist es ja nicht. Und sonderlich aufschlussreich auch nicht. Ganz Jever war damals in heller Aufregung. Aber die Kleine ist trotz Großaufgebot an Einsatz- und Rettungskräften verschwunden geblieben.«
»Danke, Heinz-Jürgen.« Ecki blätterte neugierig in den Seiten und legte sie dann auf seinen Schreibtisch. »Ich werde sie mir gleich ansehen.«
An der Tür drehte sich Schrievers noch einmal um. »Hätte ich fast vergessen. Carinas Vater ist damals kurz nach ihrem Verschwinden in Indien bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Er war auf dem Weg zum Flughafen, um seiner Frau beizustehen.«
»Indien?«
»Lies die Artikel.« Schrievers grüßte kurz und schloss dann die Tür.
Ecki nahm Schrievers Kopien zur Hand und begann zu lesen. Es war ein Artikel aus dem Jeverschen Wochenblatt.
Mutter ist verzweifelt: Carina kam nicht zurück
Jever. Von Carina Cloerkes fehlt jede Spur. Die Zehnjährige ist seit drei Tagen verschwunden. Ihre Mutter ist verzweifelt: „Wir hatten am Morgen einen kleinen Streit. Carina wollte ihre Sportsachen nicht
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