MK Boeckelberg
amüsiert an. »Was habe ich gerade dieser Tage wieder Nettes vom Kaiser Franz gelesen? Warte, ja: ›Fußball ist halt kein Schachspiel, hat er gesagt. Klingt gut, oder? Und nun guck nicht so düster, Alexander. Das Leben ist ein ständiger Quell der Freude. Man muss nur seine Chancen erkennen und ergreifen.«
* * *
Das Material war schlecht. Unerwartet schlecht. Zu groß und zu alt. Nein, dass war nicht die versprochene Ware. Was sollte er damit tun?
Schon auf dem Rückweg waren ihm Zweifel gekommen. So schwer und ungewöhnlich groß war das Paket gewesen. Nicht wie sonst.
Er hatte da gestanden, die Ware ausgepackt und sie angestarrt. Die Ware trug kein Trikot, das verabredete Zeichen, dass die Ware freigegeben war.
Was sollte er mit ihr tun? Er hatte sie zwar zurecht gerückt, mehr oder weniger lustlos. Er wollte nichts schuldig bleiben. Aber eine Freude würde die Arbeit nicht werden, eher eine lästige Pflichtaufgabe.
Warum hatten sie ihm dieses Paket geschickt? Was wollten sie damit erreichen? Wollten sie ihn prüfen? Wollten sie ihm eine Botschaft schicken? Er konnte sich nicht erklären, warum er in dieser Nacht ausgerechnet diese Arbeit tun sollte.
Er sah sich vorsichtig um, er wusste dass sie ihn und seine Arbeit genau beobachten würden. Sie würden seine Handlungen bewerten und ihm ihr Urteil mitteilen. Er straffte sich. Also musste er so tun, als ob es ein ganz normaler Auftrag war. Aber es würde nicht einfach sein. Sein Werkzeug würde nicht ausreichen. Er würde hart arbeiten müssen.
Die Arbeit würde Stunden dauern – und für welchen Lohn? Wofür die ganze Anstrengung? Spaß würde er nicht haben. Das wusste er. Bei derart alter Ware ließe sich keine Seele mehr finden. Die Seele war ein flüchtiges unschuldiges Gut, das nur in frischem Material für eine kurze Weile überdauern konnte. Diese Ware hatte keine Seele mehr.
Er sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. Die Zeit drängte. Er musste fertig werden, bevor der Tag anbrach. Er wischte den Schweiß von seiner Stirn. Dann nahm er das Messer und setzte es unter dem scharfen Licht vorsichtig auf die Haut auf.
Der erste Schnitt war getan. Mit fliegenden Händen aber routiniert arbeitete er sich vorwärts. Er war ein guter Diener.
X.
Staatsanwalt Ralf Böllmann war unzufrieden. Auch die überregionale Veröffentlichung des Fotos hatte kein Ergebnis gebracht. Niemand schien das kleine Mädchen zu kennen. Auch wenn sein Verschwinden schon zehn Jahre zurücklag, hätten es doch wenigstens ein paar Anrufe sein können! Auch Schrievers Archivarbeit hatte bisher nichts zutage gefördert. Das war an sich schon bemerkenswert, da Heinz-Jürgen Schrievers anerkanntermaßen landesweit das beste Archiv betrieb. Das Mädchen schien nie existiert zu haben.
Und über die Zusammenarbeit mit den Briten war er ebenfalls nicht sonderlich glücklich. Die Militärbehörden schotteten sich völlig ab. Da halfen auch keine Interventionsversuche auf Landesebene. Die Briten hielten sich stur an das Nato-Truppenstatut. Zwar verhielt sich dieser Colonel Digby äußerst korrekt, aber mehr als höfliche Floskeln über die seiner Meinung nach vertrauensvolle Zusammenarbeit waren ihm nicht zu entlocken. Jede Nachfrage scheiterte. Diese Briten konnten einen mit ihrer verschlossenen Art zur Verzweiflung treiben.
»Und jetzt?« Böllmann sah Frank und Ecki erwartungsvoll an, die mit ihm in der kargen Kantine des Landgerichts saßen.
Ecki drehte sein leeres Mineralwasserglas nachdenklich in der Hand. »Wir haben es in beiden Fällen wohl mit einem Täter zu tun. Was wir nicht verstehen: Warum liegen zwischen dem Mord an dem Mädchen und dem Jungen vom Antrim Drive zehn Jahre? Warum diese lange Zeit?«
Böllmann zuckte mit den Schultern und erwiderte den Gruß des Vor sitzenden Richters der Jugendkammer, der mit seinen Kollegen lachend auf einen freien Tisch zusteuerte.
»Es kann natürlich sein, dass der oder die Täter in der Zwischenzeit weiter aktiv waren und wir erst zwei Opfer gefunden haben.«
»Möglich.« Böllmann grübelte.
»Es bleibt auch die Frage, warum der Junge im HQ öffentlich abgelegt und nicht wie das Mädchen aufwändig versteckt wurde. Eins ist klar: Würde das Stadion nicht abgerissen, wäre die Kleine nie aufgetaucht.«
»Der Fundort des Jungen spricht meiner Meinung nach immer noch dafür, dass der Täter sein Opfer unter Zeitdruck beseitigen musste. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine falsche Fährte in Richtung Briten legen
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