MK Boeckelberg
Papier die Finger verbrannt.
Er versuchte sich vorzustellen, was ihn erwartete und wie er reagieren sollte. Er wollte nicht unvorbereitet sein. Womit konnte Hünner ihn zwingen, bei seinem schmutzigen Spiel mitzumachen?
Im Training hatte er sich in den vergangenen Tagen mächtig ins Zeug gelegt. Er wollte endlich wieder an seine frühere Form anschließen. Immerhin hatte der Trainer hinterher anerkennend genickt. Mit seinem Trainingseifer wollte er auch unmissverständlich klar machen, dass die Mannschaft, der Trainer und der Verein unbedingt auf ihn zählen konnten. Er wollte nicht den Hauch eines Zweifels an seiner Einsatzbereitschaft und seinem Siegeswillen aufkommen lassen. Auch die Medien würden seinen unbedingten Willen zum Erfolg früher oder später anerkennen müssen.
Aber nun, an diesem sonnigen Nachmittag im Frühjahr, nachdem alles getan war, blieb ihm keine Wahl. Nun musste er den Umschlag öffnen.
Entschlossen riss er ihn auf. Was er sah, ließ ihn für einen winzigen Augenblick ungläubig innehalten. Dann brach ein stummer Schrei aus ihm hervor, der ihm die Luft nahm. Er ließ er den Umschlag fallen und warf sich auf das Sofa. Er merkte nicht, dass er sich den Kopf an der Wand stieß. Er hatte das Gefühl zu ersticken. Er wand sich hin und her, aber er spürte keine Erleichterung.
Es war geschehen, was nie hätte passieren dürfen. Vor ihm auf dem Tisch lag ausgebreitet der schiere Horror. Zwei Bilder waren in der Dusche des Mannschaftstraktes aufgenommen worden. Sie zeigten Alexander Rauh, wie er unter dem Wasserstrahl seine kleine Puppe fest im Arm hielt. Und wie er nackt auf seinem Platz saß und mit seiner Bürste ihre nassen Haare kämmte.
Den beiden Bildern war ein Zettel beigelegt: Die Zeitungen warten auf die Bilder des Puppenspielers vom Bökelberg.
Der hochgewachsene Abwehrspieler erlebte die nächsten Stunden auf der Grenze zwischen Wachsein und Koma. Er hörte nicht das Klingeln seines Handys, das sich in regelmäßigen Abständen wiederholte.
* * *
Hans Hauser fuhr mit seinem Fahrrad gemächlich an der Niers entlang, Richtung Bezirkssportanlage, und beobachtete dabei die Enten.
Der Platzwart war an diesem Morgen früh unterwegs. Auf ihn wartete viel Arbeit. Das Eingangsgebäude sollte neu gestrichen werden, und Hans Hauser musste nicht nur der Malerfirma aufschließen, sondern auch die Rasenfläche wässern und die Netze der Tore einhängen. Mehrere Schulklassen hatten sich angesagt, die an einem Sichtungslehrgang teilnahmen.
Der Platzwart war auf seinem Weg zur Arbeit nur wenigen Spaziergängern und Hundebesitzern begegnet. Auch Radfahrer waren nur vereinzelt unterwegs. Der feine Schotter knirschte unter seinen Rädem. Das monotone Geräusch hatte etwas angenehm Vertrautes. Hans Hauser mochte diese frühen Morgenstunden. Die Luft war klar und frisch und ließ auf einen Arbeitstag mit angenehmen Temperaturen hoffen.
Hans Hauser bremste und stieg von seinem Fahrrad ab. Die letzten Meter zum Eingang der Bezirkssportanlage schob er sein Mountainbike.
Er war beliebt bei den Eltern und bei den Fußballern. Irgendwann hatten er und Klaudia beschlossen, dass die kleinen Kicker ihre Kinder waren, nachdem sie selbst keine bekommen konnten. Sie waren glücklich damit. Wer konnte schon behaupten, eine so große Familie zu haben? Ihn machte es stolz, wenn nach den Spielen oder nach dem Training der ein oder andere kleine »Fußballstar« zu ihm ins Büro kam, um sein Herz auszuschütten, oder sich erzählen zu lassen, wie Hans Hauser fast in der 1. Bundesliga gelandet wäre. Wenn nur damals das Knie gehalten hätte.
Auch heute schmerzte sein rechtes Knie. Das Wetter. Hans Hauser rieb sich die Kniescheibe, als er zum Eingang ging, um die Schlüssel für die Umkleidekabinen zu holen. Wäre die Sportmedizin damals so weit gewesen wäre wie heute, wer weiß? Hauser rieb sich mit beiden Händen über sein ausgeblichenes T-Shirt und seufzte. Dann nahm er im Büro die Schlüssel vom Haken und ging über den kurzen Wandelgang zur gegenüberliegenden Tür. Er wollte nicht ungerecht sein. Seine Arbeit beim Sport- und Bäderamt machte ihm Spaß. Vor allem, wenn er auf seiner geliebten Bezirkssportanlage Dienst tun konnte. Denn hier, zwischen den Schrebergärten und den Fabriken, hatte er das Fußballspielen gelernt. Für ihn gab es kein schöneres Stadion in der Stadt.
Hans Hauser schloss den Kabinentrakt auf, um die Duschen zu kontrollieren. In der Tür blieb er stehen. Er konnte nicht glauben,
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