Träum süß, kleine Schwester
Mary Higgins
Clark
Träum süß,
kleine Schwester
Fünf Erzählungen
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Die internationale Kritik feiert Mary Higgins Clark als »Königin der Spannung« – zu Recht, wie ihre Erzählungen zeigen.
Die amerikanische Bestsellerautorin erzählt Geschichten, die so aufregend, dramatisch und fesselnd sind wie ihre großen Romane.
Kleine Meisterwerke von subtilem psychologischem Raffinement und beeindruckender stilistischer Brillanz, atmosphärisch dicht, menschlich bewegend und überaus spannend: ein Leseabenteuer.
ISBN: 3-453-06372-4
Original: VOICES IN THE COALBIN AND OTHER STORIES
Verlag: Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr: 1993
Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Inhalt
Die Stimme im Keller…………………………………………..3
Da haben wir die Bescherung………………………………17
Der blinde Passagier…………………………………………..40
Ein Routineflug …………………………………………………63
Schönheitswettbewerb im Buckingham-Palast ………87
Die Stimme im Keller
Als sie ankamen, war es dunkel. Mike steuerte den Wagen von der schmutzigen Straße in die lange Zufahrt und hielt vor dem kleinen Landhaus. Die Grundstücksmaklerin hatte versprochen, Heizung und Beleuchtung einzuschalten. Stromvergeudung war offenbar nicht ihre Sache.
Über der Tür entsandte eine Spezialbirne für Insektenschutz einen fahlen gelblichen Strahl, der im gleichmäßigen Nieselregen vibrierte. Die Fenster mit den kleinen Scheiben waren in dem schwachen Lichtschein, der durch einen Vorhangspalt drang, kaum auszumachen.
Mike streckte sich. Vierzehn Stunden am Steuer während der letzten drei Tage – kein Wunder, daß sein langer, muskulöser Körper völlig verkrampft war. Er strich sich das dunkelbraune Haar aus der Stirn und wünschte, er hätte sich vor der Abfahrt in New York die Zeit genommen, sich die Haare schneiden zu lassen.
Laurie zog ihn auf, als sie zu wachsen anfingen. »Du siehst aus wie ein dreißigjähriger Kaiser, Lockenköpfchen«, stellte sie fest. »Dir fehlt nur noch ‘ne Toga und ein Lorbeerkranz, dann bist du komplett.«
Vor etwa einer Stunde war sie eingeschlafen. Ihr Kopf lag in seinem Schoß. Unschlüssig schaute er hinunter, es widerstrebte ihm, sie zu wecken. Zwar konnte er ihr Profil kaum erkennen, doch er wußte, daß im Schlaf die verkniffene Mundpartie und der Ausdruck panischen Schreckens aus ihrem Gesicht verschwanden.
Vor vier Monaten hatte der ständig wiederkehrende Alptraum begonnen, dieser Horror, der sie gellend aufschreien ließ: »Nein, ich komme nicht mit euch. Ich will nicht mit euch singen.«
Er rüttelte sie wach. »Ist ja schon gut, Liebes. Alles in Ordnung.«
Ihre Schreie verebbten zu verängstigtem Schluchzen.
»Ich weiß nicht, wer sie sind, aber sie wollen mich, Mike.
Ich kann ihre Gesichter nicht erkennen, aber sie drängen sich alle dicht zusammen und winken mir zu.«
Er war mit ihr zum Psychiater gegangen, der sofort eine intensive Behandlung begann. Doch die Alpträume gingen weiter, unvermindert. Sie hatten eine begabte vierundzwanzigjährige Sängerin, die gerade als Solistin in ihrem ersten Musical am Broadway aufgetreten war, in ein zitterndes Wrack verwandelt, das nach Einbruch der Dunkelheit nicht allein sein konnte.
Der Psychiater hatte einen Urlaub vorgeschlagen. Mike erzählte ihm von den Sommern, die er im Haus seiner Großmutter am Oshbee Lake, fünfundsechzig Kilometer von Milwaukee, verbracht hatte.
»Meine Großmutter ist im vergangenen September gestorben«, hatte er erklärt. »Das Haus steht zum Verkauf.
Laurie ist nie dort gewesen, und sie liebt Wasser.«
Der Arzt war einverstanden. »Aber geben Sie acht auf sie«, warnte er. »Sie ist schwer deprimiert. Ich bin sicher, diese Alpträume sind eine Reaktion auf ihre Kindheitserlebnisse, aber sie erdrücken sie.«
Laurie hatte die Gelegenheit wegzufahren freudig begrüßt. Mike war Juniorpartner in der Anwaltskanzlei seines Vaters. »Nimm dir soviel Zeit, wie du brauchst«, meinte der. »Hauptsache, es hilft Laurie.«
Ich erinnere mich hier an strahlende Helle, dachte Mike, als er das in Dunkelheit getauchte Haus mit wachsendem Schrecken betrachtete. Ich erinnere mich, wie sich das Wasser anfühlte, wenn ich hineinsprang, an die warme Sonne auf meinem Gesicht, an den Wind, wie er die Segel füllte und das Boot über
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