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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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als wir beide tranken, ich eher unwillig, er in einem Zug, bat er mich in ziemlich anzüglicher Manier, den Mund zu halten. Und du, warum kommst du nicht aus dem Kreuz? – setzte er noch hinzu. Denen juckt’s doch allen, verstehst du! Dann klopfte er mir auf die Schulter, beschwerte sich, nun schon in ernstem Ton, wie schwer es sei, hier Chef zu sein, weil es an allem und jedem fehle. Der Wirtschaftsführer habe für das Lager ein Schlachtschwein gekauft – nichts als Speck! Die Kinder werden Durchfall bekommen von diesem schwabbeligen Zeug, und überhaupt, wer mag schon diese Speckschwarten?! So war er, dieser Lagerleiter, wirtschaftlich denkend, sympathisch, von vielen geliebt, ewig besorgt um das Wohl seiner Mitmenschen und für alles verantwortlich.
    Ich gehörte nicht zu diesem Typus. Alle Verantwortung vergessend, bat ich ihn umgehend, mich für drei Tage nach Vilnius zu lassen. Ich wusste, dort fanden die ersten Baltischen Gaudeamus -Feiern statt, mit Chören, Fackelzügen, reichlich Bierkonsum, Vereinen, Verbänden und allumfassender KGB-Aufsicht. Was willst du hier, klar, fahr los. Der Lagerleiter war sofort einverstanden und steckte mir gleich noch, in einem Anfall von Großzügigkeit, zehn Rubel Vorschuss zu.
    Das Fest! Menschenmassen, Gedränge und Geschiebe, Schlangen vor den Kiosken, bekannte Gesichter, unbekannte Gesichter, Lieder auf der Bühne im Vingis-Park, Gegröle der Besoffenen in den Straßen, Volkstrachten und Kopfschmuck, ein Meer von Fackeln auf dem Platz vor der Kathedrale. Ich mit Elli in der Masse, untergehakt, um uns nicht zu verlieren, und ein Typ neben uns, laut: Fackeln! Auch der Führer hat so angefangen!
    Und hatte überhaupt keine Angst, abgefackelt zu werden oder dass ihm einer im selben Ton antwortete, nur das Entgegengesetzte. Wie auch, der wartete geradezu: Vielleicht erregt sich jemand. Vielleicht gibt einer Zunder. Nein, nichts. Ich übernachtete in unserem leeren Wohnheim, mit Ach und Krach schaffte ich es, dass sie mich reinließen. So unterhielt ich mich mit Elli, drei Nächte lang. Nicht ganz und gar platonisch ging es zu, aber mehr war nicht. Das Gaudeamus dauerte noch an, und schon fand ich mich bereit, wieder ins Lager zurückzukehren, freiwillig. Kümmerte mich etwa, was sich dort abspielte? War am Ende das verdammte Verantwortungsgefühl erwacht? Wohl kaum. Hinter der Stadt versuchte ich es per Anhalter, mit Lastwagen. Je weiter, desto mühseliger kam ich vorwärts. Ein paar Kilometer nahmen sie mich mit, dann durfte ich wieder aussteigen. Dafür umsonst, für ein Dankeschön. In Merkinė traf ich ein paar Bekannte, die Geographie studierten, wir hatten zusammen die Veranstaltungen des Militär-Lehrstuhls besucht. Nicht weit entfernt war auch ihr wissenschaftliches Lager. Ich weiß gar nicht, was sie dort trieben, vielleicht die Windgeschwindigkeit messen, oder sie gingen irgendwelchen geomorphologischen Forschungen nach. Vielleicht nahmen sie auch Erdproben? Sie luden mich zu sich ein, Weiber noch und noch, die wieherten wie die Stuten, während wir nur zu viert waren! Erst gegen Abend traf ich in Leipalingas ein und blieb dort hängen. Verzweifelt suchte ich die einzige Kneipe auf, die sich in einem lang gestreckten Holzhaus befand, kratzte ein paar Kopeken zusammen für ein vom Fass gezapftes Bier. Um mich herum nur Männer, wie sonst. Und da kriegten sich schon welche in die Haare. Nur schnell ins Lager, beinahe hätte ich gesagt: nach Hause . Ich begab mich bei anbrechender Dämmerung hinaus auf die Landstraße, um zu Fuß weiterzumarschieren. An mir vorbei immer wieder leere Lastwagen, aber nicht einer dieser Scheißkerle hielt an. Da, noch einer. Eine ganze Wagenkolonne. Und zu dieser Zeit, nachts! Weiter zu Fuß. Ärgerlich und erschöpft erreichte ich das Stadtzentrum, auch hier alles voller Transportfahrzeuge, mit Planen und diversen Aufbauten. Scheinwerfer blinkten, heisere Männerstimmen waren zu hören. In den nicht sehr zahlreichen Ämtern brannte Licht. Dann erfuhr ich, was schon lange in der Luft gelegen hatte: In dieser Nacht war die russische Armee in die Tschechoslowakei einmarschiert, überall war boegotovnost’ nomer odin [11] angesagt. Erst viel später, als ich mich an diese Nacht erinnerte, versuchte ich mir alles vorzustellen: Über die Moldaubrücken rasselnde russische und DDR-Panzer, aus der Luft über Prag abspringende Fallschirmjäger aus Kaunas und Alytus, auf die niemand schoss und die sich in der tschechischen Hauptstadt

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