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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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Oberstleutnant Stepaškin, Wilenskis Stellvertreter, nicht auf meiner Seite war. Stepaškin war ein durchaus ansehnlicher, trotz eines Bauchansatzes noch jugendlich wirkender Mann. Ehemaliger Frontkämpfer, hundertmal hatte er uns von der Einnahme des Brückenkopfes bei Sandomir erzählt, wenn man ihn hörte, war diese Operation wichtiger als die Erstürmung Berlins. Taktik unterrichtete er mit einem Fanatismus, als habe er nicht Philologen vor sich, sondern Kursanten einer Generalstabsakademie. Er allein hatte nach und nach die alten Litauer verdrängt, Veteranen der 16. Division. Jene gehörten beinahe zur Intelligenz und waren überhaupt anständiger und umgänglicher. Studenten aus dem Bereich der Humanwissenschaften hasste Stepaškin und mich noch ganz persönlich: wegen meines Bartes, wegen absoluter taktischer Unfähigkeit, aber am meisten natürlich wegen des frechen Fernbleibens dort, wo er Zar , Gott und oberster Befehlshaber war. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte uns nicht in die Tschechoslowakei geschickt, sondern irgendwohin an die chinesische Grenze oder in den Hohen Norden. Von Stepaškin angeführt, erstürmten wir jede Woche irgendwelche namenlosen Höhen auf einem Gelände zwischen den Friedhöfen von Antakalnis und Rokantiškis, und als ich einmal ein Magazin meiner Kalaschnikow verloren hatte, ließ er die ganze Truppe bis zur Dunkelheit suchen. Alle verfluchten mich, nur Stepaškin, der nebenbei zu verstehen gab, dass dieses Magazin im Grunde einen Dreck wert war, grinste. Er wusste, dass von nun an nicht nur er allein mich hasste! Es war sein Glück, dass die von mir erwähnte Tür blockiert war, möglicherweise hätten die Flammen, die aus ihr loderten, Stepaškins massiges Gesicht und seine langen Wimpern angesengt. Nachts lag ich wach und schmiedete teuflische Pläne, vor denen vielleicht sogar Stalins und Hitlers Verbrechen verblassten. Mit meinen fiktiven Kämpfern umstellte ich den Militär-Lehrstuhl, trieb das gesamte Personal auf einen mit einem Verdeck versehenen Lastwagen, denselben, der uns zu den Schießübungen brachte, zwang sie, mit bloßen Händen eine Grube auszuheben, und dann legte ich sie alle um, Militärs wie Zivilisten. Schlimm, nicht? Ich glaube, dass Stepaškins Kumpane es mit unseren Leuten so gehalten hatten, in Červenė, mit einem Ohr hatte ich davon gehört. Nur schien mir, dass dieser Stepaškin geradezu meine Gedanken las, jedenfalls schrieb er an Wilenski und an das Rektorat einen Bericht nach dem anderen. Einmal, gleichsam nebenbei – aber doch absichtlich! – ließ er uns wissen, er habe auch an der Budapester Operation teilgenommen, als die Stadt von drei Seiten von russischen Panzerkolonnen eingeschlossen war. Davon hatte mir schon mein Vetter berichtet, der mit der Boxernase, der später die Burschen im Jugendwerkhof von Veliučionai das Fürchten lehrte. Wenn er von dieser Operation berichtete, anschaulich und emotional bewegt, begriff ich: Er war nichts als eine Zielscheibe gewesen im Visier eines ungarischen Scharfschützen, der verzweifelt auf alles anlegte, was sich bewegte. Währenddessen hockte der Taktiker Stepaškin sicher in irgendeinem Keller oder Bunker und zeichnete auf einen handlichen Militärstadtplan rote Pfeile, obwohl er uns das nicht gesagt hat. Aber wer kann es wissen! Vielleicht hat er auch eine Kompanie geführt, und es hätte ihn leicht erwischen können. So oder so, die Kugel machte einen Bogen um ihn, und nun unterrichtete Stepaškin, Kriegsveteran und Teilnehmer an der Ungarnoperation, mit zwei großen Sternen auf den Epauletten, Taktik am Militär-Lehrstuhl der ältesten Universität Osteuropas. Um es kurz zu machen: Was er vorhatte, erreichte dieser Mann ohne große Mühe. Ganz unfeierlich wurde ich aus seinem Reich entfernt und zugleich, automatisch, auch aus den Listen der Alma Mater. Später erfuhr ich, dass auch noch ein Geograph und ein Physiker exmatrikuliert werden sollten, aber dann kam man überein, es bei meinem Rausschmiss zu belassen. Im Archiv der Universität staubt es bis heute vor sich hin, mein gar nicht so übles Abiturzeugnis, dazu das Studienbuch mit den Unterschriften der Dozenten. Vielleicht auch noch andere Unterlagen, die ich nie zu Gesicht bekommen werde, die von meiner Faulheit und Apathie berichten und davon, dass ich weder für den Militärdienst geeignet sei noch für eine wissenschaftliche Betätigung unter den Bedingungen des reifen Sozialismus. Gewiss, wäre ich ein Student gewesen, auf den

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