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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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Richtung, in die es gehen soll, und auf einmal begreift man: Es gibt ihn, diesen Garten, in dem es angenehm wäre, sich bis Sonnenuntergang zu beschäftigen. Daher begann ich, alle meine trüben Begierden, kleinen Misserfolge und großen Verzweiflungen einem banalen Blatt Papier anzuvertrauen. Auch auf diesem Feld war ich nicht der Einzige. Jeder dritte Philologe tat das, in der Hoffnung, einmal Schriftsteller zu werden und Ruhm zu ernten. So ist es: Wenn man auch später kichert über die eigene Naivität, Schreiben hilft sich zu orientieren, bildhaft gesprochen: sich in der ärmlichen Behausung des eigenen Bewusstseins einzurichten, eingeschlossen ein primitiver Versuch, das Unterbewusste anzuzapfen. Vielleicht war dieser Henry Miller im Recht, der behauptet hatte, die Reise zu sich selbst, wie kurz und unbedeutend sie auch erscheinen mochte, sei das größte Abenteuer. Wenn auch eine Mehrheit, kaum hatte sie die gepanzerte Pforte ins eigene Innere ein wenig geöffnet, so entsetzt war, dass sie sie schnell wieder zuschlug, und es fortan vermied, dort hinzugehen. Wer es dennoch tat, ergraute und sank vorzeitig ins Grab. Andere stürzten sich aus dem Fenster, die Wissenschaft hat für diesen Vorgang einen schönen Namen – Defenestration. Ich übertreibe nicht, es ist entsetzlich. Niemandem kann man anvertrauen, was man erblickt, wenn man sich hinter der Tür umsieht. Kaum ist man in dem engen Vorzimmer, sieht man sich in seiner ganzen Bedeutungslosigkeit und Unvollkommenheit, erfährt den Abgrund zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Man beginnt zu begreifen, diese Welt ist gänzlich anders eingerichtet, als man gedacht hat. Sie ist nicht dazu da, um in ihr etwas zustande zu bringen. Von Liebe gar nicht zu reden. Es war einem sogar untersagt, anständig zu leiden. Denn es war nicht zulässig, objektiv zu beobachten und zu werten, was man jeden Tag zu sehen bekam, gleich wurde man mangelnder Loyalität beschuldigt, vielleicht sogar ideologischer Diversion. Aber so war es wohl zu allen Zeiten, es empfahl sich dem gewöhnlichen Sterblichen nicht, seine wahren Möglichkeiten kennen zu lernen. Man erinnert sich, wie chinesische Kaiser einen ihrer Untertanen bestraften, der vorgab, fliegen zu können. Der sich von der Erde abstieß, über einem Mandarinenhain schwebte, um erst in einem fernen Reisfeld zu landen. Aus eigenem Antrieb, von niemandem unterstützt. Der freche Kerl wurde raffiniert gefoltert, vielleicht ganz zu Recht.
    Nachdem ich also allen Mut zusammengenommen und die Tür ein wenig geöffnet hatte, daraufhin mit der eigenen Erbärmlichkeit, Feigheit und geistigen Armut konfrontiert worden war, zitterte ich, wie die meisten, vor Schreck und schlug sie so zu, dass ich es später auch bei heftigster Anstrengung nicht schaffte, sie abermals aufzureißen. Ich wusste nur, wo sich diese Tür befindet, und zuweilen, getrieben von unangemessener Verzweiflung oder, umgekehrt, von trügerischer und kurzzeitiger Euphorie, gelangte ich in ihre Nähe, klapperte bereits mit dem rostigen Schlüsselbund, trat gegen die Panzerung, ahnte, dass ich sie aufreißen könnte, wenn ich alle Kräfte zusammennähme. Aber schon wusste ich, es würde wohl kaum dazu kommen. Wozu?! Um wieder den dahinter hockenden Dämonen zu begegnen? Einem Ich, getrieben von den niedrigsten Instinkten und Begierden, ohne Gewissen, ohne Selbstachtung, voller Heuchelei und leerer Arroganz? Nein, ich versuchte nicht, noch einmal einen Blick hineinzuwerfen, das eine Mal reichte. Ich ahnte, was sich in mir regte, was mich beherrschte, aber die zugeworfene Tür wurde mit der Zeit immer dickwandiger, selbst für Feinde uneinnehmbar. Allenfalls eine gesellschaftliche Katastrophe hätte sie zerstören können. Ja, 1968 dachte ich noch immer in globalen Kategorien, verwendete, wenn auch unwillig, die Worte Menschheit und Fortschritt , und nicht immer war ich überzeugt, dass das nur leere Worthülsen waren. Hin und wieder spürte ich Bewegung hinter der Tür, erahnte sich zusammenballende Energien verschiedenster Art und dass durch irgendwelche Ritzen giftige, der eigenen Gesundheit wie auch der Gesellschaft gefährliche Dämpfe nach außen dringen könnten. Aber ich zweifelte nicht daran, dass die Tür standhalten würde. Andererseits war da auch ein Selbstschutzinstinkt. Auch da, wo ich unzweifelhaft Recht hatte, versuchte ich nicht einer Wahrheit nachzuspüren, die ohnehin nicht auf meiner Seite war. So wie der Militär-Lehrstuhl mit meinem persönlichen Feind,

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