Mobile Röntgenstationen - Roman
man einige Hoffnung hätte setzen können, hätten sich gesellschaftliche Organisationen hinter mich gestellt, schließlich die Elite meiner Fakultät. Aber das taten sie nicht. Sahen wohl keinen Sinn darin. Denn auch hier glänzte ich nicht durch besondere Leistungen. Einzig Magdalena Christiansen, Lexikologie-Dozentin dänischer Herkunft, klopfte mir auf die Schulter – oder kam es mir nur so vor? – und flötete mit ihrer tiefen Stimme: Alles halb so schlimm. Goethe hat auch nicht die Universität beendet! Nachdem ich meine Sachen gepackt hatte, legten die Kollegen die Ohren an und besuchten den Wehrkundeunterricht eifriger als die für die eigene Karriere viel wichtigeren Vorlesungen. Kam doch ein Beschluss – Entfernung von der Universität, dazu Benachrichtigung des zuständigen Wehrbezirkskommandos – beinahe einer öffentlichen Hinrichtung gleich. Das war eine düstere und unbezweifelbare Lehre für alle, die zum Pazifismus neigten, sich gehen ließen, der militärischen Disziplin abgeneigt waren. Und solche, das war ärgerlich genug, gab es zur Genüge.
Doch ich eile hier den Ereignissen voraus. Damals war die Röntgenstation unter den Linden des Parks stationiert, und während sich die Dinge in Mitteleuropa allmählich beruhigten, fanden sich stets neue so genannte Brennpunkte des Weltgeschehens! Ich war immer noch ein Student mit allen Rechten, der in einem Pionierlager sein pädagogisches Praktikum absolvierte, der nur erschüttert war von offensichtlicher Untreue. Von Weltschmerz heimgesucht, der so angenehm das Herz befällt. Vielleicht wäre ich zur Neulandgewinnung nach Kasachstan gefahren oder nach Karelien, aber diese Kampagnen waren schon beendet, schade.
Heute weiß ich, dass ich Unrecht hatte mit der Behauptung, Stepaškin hätte nur deswegen meine Exmatrikulation durchgesetzt, weil er mich persönlich hasste. Er tat das aus Prinzip, jedem anderen hätte es ebenso ergehen können, aber ich war eben gerade zur Hand. Ehrlich gesagt, hätte nicht die Gefahr bestanden, eingezogen zu werden, ich hätte mich nicht allzu sehr gegrämt. Macht nichts! Goethe hat auch nicht abgeschlossen! Sämtliche Atheismen und wissenschaftlichen Kommunismen hingen mir ohnehin längst zum Hals raus, und auf dem eigenen Fachgebiet, wie gesagt, tat ich mich auch nicht durch besonderen Ehrgeiz hervor. Also Armee! Zwei Jahre der Ungewissheiten und Erniedrigungen.
Und dennoch war da auch eine persönliche Rechnung beglichen worden. Damals zumindest war ich fest davon überzeugt. Das Pionierlager hatte ich zur Hälfte absolviert, als wir eine Exkursion zu einem nahe gelegenen, unionsweit bekannten Kurort unternahmen, geschätzt wegen seines Klimas und seiner Schlammbäder. Viele Russen und Ukrainer bevölkerten die Straßen, spazierten in den Parks und Wäldern, sogar aus dem Hohen Norden kamen welche. Menschenschlangen vor den mineralhaltigen Quellen. Krankenkittel und Rollstühle. Ein Regierungssanatorium und eine Menge gewöhnlicher. Auf einem Flussdampfer wollten wir mit den Kindern nach Liškiava, es tuckerte da so ein vorsintflutliches Gefährt, das immer wieder einen anderen Anstrich erhielt. Der Dampfer war schon zum Auslaufen bereit, sämtliche Pioniere auf dem Mitteldeck, als ich, getrieben von einem unaufschiebbaren natürlichen Bedürfnis, mich nahe der Anlegestelle in die Büsche schlug. Ganz in der Nähe tummelten sich die Kurgäste, so begab ich mich weiter ins Unterholz, ohne den weiß schimmernden Dampfer aus den Augen zu lassen, bis ich, tief im Dschungel, eine passende Stelle fand. Ich hatte schon die Hose aufgeknöpft, als ich noch einmal eine andere Richtung nahm, um der Schiffssirene nahe zu sein. Und schon trat ich auf einen Zeh, und der gehörte niemand anderem als dem schon bekannten Stepaškin! Der war gerade mit einer Blondine beschäftigt, die seine Tochter hätte sein können. Beide japsten und stöhnten, sie schrill und hoch, Stepaškin dumpf, ein Geräusch, als käme es aus den Tiefen der Erde. Die Blonde hatte sich in die Brusthaare des Oberstleutnants gekrallt und sah mich nicht, dafür hob Stepaškin, der auf seinem breiten Rücken lag, instinktiv den Kopf, und unsere Blicke begegneten sich … Seine Partnerin japste und stöhnte weiter, kaum ein paar Schritte vom Weg entfernt, am helllichten Tag! Aber der Oberstleutnant hörte auf zu schnaufen, um mich mit dem Blick eines wütenden Bullen zu durchbohren. Er hatte mich erkannt! Hatte sich mein Gesicht gemerkt bei seinen Taktikübungen.
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