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kann, ob sich im Gehirn des Patienten ein Tumor gebildet hat oder n icht. Dies, und ich bin froh, Ihnen das versichern zu dürfen, können wir bei ihrem Sohn glücklicherweise ausschließen.«
Er setzte die Brille ab, lehnte sich in Bürostuhl zurück und sagte mit unverhohlener Selbstgefälligkeit: »Ich kann Sie beruhigen. Daniel ist ein kerngesundes Kind, dem es nach medizinischen Gesichtspunkten an nichts fehlt. Gehen Sie davon aus, dass Ihr Sohn einfach ein sehr unruhiges Kind ist. Sie sollten das nicht überbewerten. Es ist eine Phase, mehr nicht.«
»Phase ist ein sehr dehnbarer Begriff.« Carola bemühte sich gar nicht erst, die Schärfe aus ihrer Stimme zu nehmen. »Natürlich bin ich erleichtert, dass unserem Sohn nichts fehlt und Sie nichts Ernsthaftes festgestellt haben. Aber bei einem Zustand, der vor dreieinhalb Wochen begonnen hat und sich seitdem immer mehr zuspitzt, kann man wohl kaum von einer Phase sprechen, sondern eher
von einem Zustand, und zwar einem, der uns stark beunruhigt.«
Der Oberarzt sagte: »Ich habe vollstes Verständnis für Ihre Besorgnis, Frau Netzer, aber Ihr Daniel ist ein kerngesundes Kind. Und mit dieser Gewissheit fahren Sie nun bitte nach Hause und freuen sich darüber. Denn glauben Sie mir: Viel zu häufig sitzen mir Eltern gegenüber, denen ich zu meinem tiefsten Bedauern das Gegenteil mitteilen muss.«
Dienstag, 11. Juni
»I hre Gattin ist am Apparat«, sagte die Frau aus der Telefonzentrale.
Joachim bedankte sich knapp und bat, Carola zu ihm durchzustellen.
Carola ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen, sondern legte sofort los: »Ich hab langsam wirklich keinen Bock mehr, dieses Kind macht mich noch ganz irre!«
Sie sprach laut, schrie beinahe, war offensichtlich mit den Nerven am Ende. Joachim brauchte nicht hel lzusehen, um zu wissen, was kommen würde.
»Das Übliche nehme ich an, oder?«
Ihre Stimme war nun kraftlos, als sie sagte: »Ich weiß wirklich nicht mehr weiter, ich bin völlig am Ende. Er war den ganzen Vormittag ganz ruhig und ausgeglichen. Wir waren vorhin in Ruhe einkaufen und haben kurz bei meinen Eltern reingeschaut - alles wunderbar. Und was passiert nach dem Mittagessen? Ich habe ihn ins Bett gesteckt, er schläft gut und schnell ein, aber keine fünfzehn Minuten später fängt er wieder zu brüllen an, als wären Zombies hinter ihm her.«
»Er wird sich seinen Schlaf schon noch holen«, versuchte Joachim Carola zu beruhigen und wusste im gleichen Augenblick, dass er etwas ziemlich Dämliches gesagt hatte. Nun konnte auch er Daniel im Hintergrund brüllen hören.
»Er wird sich seinen Schlaf schon holen«, äffte Carola. Dann schrie sie: »Ich werde hier langsam irre! Niklas wird irre! Das hier ist ... ein Irrenhaus, und der Oberirre schreit und schreit und ... .«
Nun brachen die Tränen aus Carola heraus. Joachim wartete, bis sie sich wieder halbwegs gefangen hatte, dann sagte er mit ruhiger Stimme: »Pass auf, ich habe heute nichts mehr auf dem Schreibtisch, was nicht bis morgen liegen bleiben könnte. In ein paar Minuten setze ich mich ins Auto und komme nach Hause. Dann nehme ich dir die kleine Nervensäge für den Rest des Tages ab, einverstanden? Und du machst irgendwas Schönes, auf das du Lust hast.«
Unwirsch entgegnete Caro: »Nein, du machst deinen Kram, ich mach meinen. Du hast bestimmt genügend anderes zu tun, als deiner offensichtlich überforderten Frau unter die Arme zu greifen.«
»Oh, i ch greife dir für mein Leben gern unter die Arme, und zwar am liebsten von hinten und wenn wir ungestört sind.«
»Spar' dir deine müden Witzchen, ,die sind nicht die Spur lustig.«
»War ja nur ein Versuch, dich aufzuheitern.«
»Schwacher Versuch, e ine glatte Sechs.«
» Okay. Was ist nun? Soll ich nach Hause kommen und dir Daniel abnehmen?«
Daniels Brüllen wurde immer lauter, zorniger. Ängstlicher.«
»Geht das wirklich?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Aber klar. In einer halben Stunde bin ich da.«
*
Mit dem Fuß stieß Joachim die Wohnungstür zu. Im Flur kam ihm Niklas entgegen. Der Junge war schmal, und sein Körper ließ noch nicht erkennen, ob er später groß und kräftig oder eher drahtig sein würde. Er hielt seine Inlineskates, trug den Helm auf dem Kopf und sagte: »Hallo und ciao, ich hau ab!«
Lässig streckte er seinem Vater die Hand entgegen und Joachim klatschte auf die Handfläche seines Sohnes.
»Wo geht's hin?«
» Runter in den Hof. Skaten mit Malte. Wir bauen 'ne Schanze. Wird
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