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Mobile

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Titel: Mobile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Richter
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etwas tückisches und zutiefst hinterlistiges.
    Aber sie hatte Recht. Er musste es ausprobieren. Er brauchte Gewissheit.
    Joachim holte tief Luft, dann stieß er das Mobile leicht an und sah Daniel gespannt an. Die Figuren tanzten.
    Der Junge schlief.
    Joachim gab einer Holzfigur einen kräftigeren Stoß. Nun hüpften die Figuren wild und ungeordnet auf und ab.
    Daniel schlief.
    Jetzt schlug Joachim mit der flachen Hand gegen eine Holzfigur. Ungeordnet sprangen die Figuren umher, stießen immer wieder aneinander und verhedderten sich beinahe.
    Daniel riss die Augen auf und starrte das Mobile an.
    Joachim meinte, sein Herz bliebe stehen.
    Daniel sah fasziniert den unrhythmischen Bewegungen der Holzfiguren zu, schien geradezu verfallen zu sein.
    Joachim gab sich einen Ruck und klatschte in die Hände, doch Daniel reagierte nicht. Er lag bewegungslos da und starrte das Mobile an.
    Los, trau' dich! Du wirst schon sehen, wirst schon sehen.
    »Ich habe tierische Angst«, flüsterte Joachim.
    Deine Angst ändert nichts. Du braucht die Antwort. Also: Mach!
    Es kostete Joachim viel Überwindung, den Jungen aus dem Bett zu heben. Kraftlos hing Daniel in seinen Armen, nur seine weit aufgerissenen Augen, die ununterbrochen das Mobile verfolgten, verrieten, dass er wach war.
    Dass er lebte.
    Nun nahm Joachim seinen Sohn auf den linken Arm. Mit der rechten Hand griff er nach der Schnur, an der das Mobile an der Decke hing. »Verdammte Scheiße«, sagte er mit zittriger Stimme - und dann zog er kräftig. Die dünne Schnur hielt, aber der Nagel wurde aus der Zimmerdecke gerissen - und im gleichen Augenblick stieß Daniel einen Schrei aus. Doch es war kein kurzer, heller Kinderschrei - vielmehr war es ein Schrei, wie Joachim ihn noch nie zuvor gehört hatte. Panisch. Todesängstlich.
    Joachim ließ in einem Reflex das Mobile los, das erst gegen die Wand prallte und schließlich auf den Fußboden fiel. Er starrte seinen Sohn fassungslos an. Daniels Augen waren weit aufgerissen, das Gesicht war maskenhaft verzerrt und bleich, alle Lebensfarbe war mit einem Schlag aus dem Gesicht gewichen. Und dann waren da diese hysterischen Schreie, immer wieder diese grauenhaft hellen und schrillen Schreie, abgehackt und stoßweise. Joachim wollte Daniel beruhigend an sich drücken, doch dabei versetzte er ihm aus Versehen einen Kopfstoß. Daniel brüllte vor Überraschung und Schmerz auf, und nun mischten sich seine Entsetzensschreie mit hilflosem Weinen. Joachim presste Daniel fest an sich und spürte, wie der kleine Kopf sich an seiner Schulter vergrub, ohne dass das Kind jedoch aufhörte, diese entsetzlichen Schreie auszustoßen.
    Also doch, also doch!
    »Das kann nicht sein!« , rief Joachim entsetzt.
    Haha, haha, haha !
    »Scheiße, was ist hier los ... .«
    Die Hölle ist los, die Hölle!
    Hektisch bückte Joachim sich nach dem auf dem Boden liegenden Mobile und hob es auf. Zwei der Figuren waren ineinander verdreht, und einer der dünnen Holzstäbe war angebrochen, doch dafür hatte Joachim jetzt keine Augen. Wie aus weiter Entfernung hörte er sich selbst sagen: »Das Mobile, Daniel, ist ja gut, hier ist dein Mobile, siehst du? Du kannst dich jetzt wieder beruhigen.«
    Tatsächlich hörte der Junge augenblicklich zu Sch reien auf. Einige Male schluchzte er noch leise, dann begann sich sein verweintes Gesicht zu entspannen. Daniel sah das Mobile mit verklärten Augen an, vielleicht eine Sekunde lang oder zwei, dann verschleierte sich sein Blick und die Augen wurden kleiner, um dann zuzufallen.
    Joachim hatte das Gefühl, ihm würde der Boden unter den Füßen weggezogen.
     
    Die folgende Stunde lang war Joachim von einer nebelhaften Benommenheit gefangen. Alles, was er tat, geschah seltsam langsam. Das Gehen, das Greifen, das Sehen und das Denken. Wäre er nicht alleine gewesen, sondern sprächen Menschen zu ihm, würde es sein, als hörte er sie durch einen dicken Teppich oder eine Glaswand. Wiederum eine Viertelstunde später, nachdem es etwas besser geworden war, rief er Carola auf dem Handy an. Während das Freizeichen ertönte, ließ er sich erschöpft auf das Sofa fallen.
    »Kaum ein paar Stunden voneinander getrennt, schon ruft der Lover seiner Liebsten hinterher«, säuselte Carola ihm ins Ohr. »Hältst es wohl nicht mehr aus ohne mich?«
    »Seid ihr bereits angekommen?«
    »Vor etwa zehn Minuten erst. Alles in Ordnung zu Hause?«
    Joachims Kopf begann zu dröhnen. Er drückte die Hand gegen die Stirn.
    »Bist du noch

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