Model-Ich (German Edition)
Möbeln vom Trödelmarkt und Baupaletten und da
die Fliesen auf dem Klo so hässlich waren, dass man nach einem Bier zu viel bei ihrem Anblick beinahe blind wurde, »verschönerten« wir sie mit Neonorange aus der Sprühdose. Praktisch, schnell, supereffektiv. In dieser Bruchbude platzten ständig irgendwelche Rohre oder Waschmaschinenschläuche, was in unserem selbst gezimmerten Bad zu einer Sintflut führte. Aber es war unsere erste Wohnung und dafür haben wir sie geliebt.
Auf der einen Seite hatte ich das schnelle und aufgeregte Modeldasein, ein Leben aus dem Koffer, das mich nie zur Ruhe kommen ließ. Auf der anderen Seite wartete der Studentenalltag, mit Hauspartys und billigem Rotwein. Darin habe ich mich mehr wie ich selbst gefühlt, als an einem Strand auf St. Barts (wobei ich gegen die Reisen nach St. Barts gewiss nichts einzuwenden hatte). Zu Hause konnte ich mit meinen Modelgeschichten niemanden beeindrucken. Meine Familie und Freunde kennen mich einfach zu gut, um mir irgendwelche Allüren durchgehen zu lassen. Sie wissen, wer ich wirklich bin. Und sollten mir daran je Zweifel kommen, braucht es nur einen Spruch wie auf dem Abitreffen vor einigen Jahren, als einer meiner alten Schulfreunde kalauerte: »He, wir sehen dich ja nur noch im Fernsehen«, um wieder auf den Boden zu kommen.
Von mir gibt es keine Fotos im Sommerurlaub auf einer Yacht in Südfrankreich. Eher könnte man mich auf einem Hausboot auf der Müritz knipsen. In meiner Vorstellung von einem perfekten Samstagnachmittag kommen keine Champagnergelage vor, sondern ein Spaziergang mit meinen Hunden. So gern ich auch feiern gehe, manchmal gibt es nichts Schöneres, als auf dem Sofa zu sitzen und dämliche Castingshows zu gucken.
Die meiste Zeit ist mein Leben stinknormal. Und irgendwie bilde ich mir ein, dass alles, was während der anderen Zeit passiert – die Modenschauen, die Fotoshootings, die roten Teppiche – mir gerade deswegen auch nach 15 Jahren im Geschäft noch so außergewöhnlich vorkommt.
CASTINGS
CASTINGS GEHÖREN ZUM ALLTAG EINES MODELS wie Make-up-Entferner, U-Bahn-Fahren und doppelter Espresso. Zu den Hauptzeiten während der Modewochen kann man am Tag bis zu zehn Castings haben, die von früh morgens bis spät in die Nacht gehen (daher auch der doppelte Espresso). Der Ablauf ist meistens gleich: Man geht rein, zeigt sein Buch und läuft einmal in hohen Schuhen auf und ab. Gefällt dem Kunden, was er sieht, läuft man noch einmal im Outfit für die Show und es wird schnell ein Foto gemacht. Viel länger als ein paar Minuten hat man nicht, um den Kunden von sich zu überzeugen. In der kurzen Zeit können selbst die routiniertesten Models zu verunsicherten Mädchen werden.
Als besonders unangenehm sind mir die Castings in Mailand in Erinnerung geblieben. Die Atmosphäre ist weniger wie einem Vorstellungsgespräch und mehr wie auf einem Viehmarkt – man wird behandelt wie ein Stück Fleisch. Ein bekannter Vergleich, aber das macht ihn nicht weniger wahr. Es kam vor, dass Kunden mich nicht einmal angeschaut haben, sondern sich weiter unterhielten, einmal lustlos durch mein Buch blätterten und mich wieder wegschickten. Es mangelte fundamental an Höflichkeit und man durfte froh sein, wenn mit einem kurzen »Ciao« und einem knappen »Grazie« verabschiedet wurde. Derart verunsichert musste man dann zum nächsten Casting.
Berüchtigt waren die Show-Castings bei Armani. In Mailand haben die großen Designer ein eigenes Teatro, in dem die Schauen stattfinden. Bei Armani stand man dort mit 200 anderen Models vor dem Tor auf der Straße, mit Glück weit vorne,
denn für die Schau wurde nicht mal ein Drittel der Models gebraucht. Nacheinander wurden kleine Gruppen reingeholt und in einen Backstage-Bereich geführt, wo schon hautfarbene Bodys bereitlagen. Einige der Mädchen drehten bei deren Anblick auf dem Absatz um. Normalerweise macht man Castings schließlich in Straßenklamotten und nicht in winzigen Leibchen, durch die jede Rippe zu sehen ist.
Da Armani aber nun einmal so wichtig ist, blieben die meisten. Auch ich habe mich jedes Mal durchgerungen und bin in den Body geschlüpft. Vor meinem ersten Mal hatte mir jemand gesteckt, dass Giorgio es gerne sieht, wenn die Mädchen ein wenig lächeln, und ich wollte dieses Wissen nutzen.
Da stand ich dann im unvorteilhaftesten Kleidungsstück der Welt unter hartem Scheinwerferlicht, in dem jede Delle doppelt so groß wirkt, und versuchte, dem Maestro, der in der ersten Reihe
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