Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
jemand hat sich in meine Website gehackt. Die sagen, ich wäre eine Lügnerin und es geht um Krähe. Sie sagen …«
Was sie noch sagen, erfahre ich nicht, weil mein Handy in diesem Moment den Geist aufgibt. Es schneidet Edie das Wort ab und das Display wird schwarz und gibt kein Lebenszeichen mehr von sich.
Im gleichen Moment schaut Andy Elat über die Horden wild gewordener Shopper zu mir herüber und offensichtlich gefällt ihm das Gesicht nicht, das ich mache.
»Alles klar, Nonie?«, fragt er besorgt über die Menschenmasse hinweg.
»Alles bestens«, mime ich zurück und halte den Daumen hoch, um ihn zu beruhigen.
Es kommt häufiger vor, dass ich Erwachsene anschwindele. Hab ich mir irgendwie angewöhnt. Es macht vieles leichter.
Normalerweise steht mittwochs auf dem Stundenplan: Schülerversammlung, Doppelstunde Geschichte, Pause, Englisch. Heute haben wir stattdessen: Markteinführung bei Miss Teen, Interview, Party. Danach längere Hausaufgabensitzung, dann der Zug nach Paris.
Ich würde gern so tun, als hätten wir jeden Tag Partys und Publicity auf dem Programm, aber weit gefehlt. Wir brauchen eine Sondererlaubnis, um wegen der Miss-Teen-Veranstaltung die Schule ausfallen zu lassen, und dann noch eine Sondererlaubnis für Paris. Und das wegen einer Beerdigung, die morgen dort stattfindet, also zählt es eigentlich gar nicht.
Ich habe gewusst, dass morgen ein schwerer Tag wird, aber auf heute hatte ich mich richtig gefreut. Doch jetzt habe ich einen Knoten im Magen, der sich einfach nicht auflösen will. Erst der Schreck mit dem Megatsunami und dann Edies Verzweiflung am Telefon. Edie ist nicht der Typ, der schnell verzweifelt. Gäbe es ein Erdbeben, wäre Edie diejenige, die Hilfe organisiert und Decken und Zelte auftreibt. Es muss also was wirklich Schlimmes mit ihrer Website passiert sein, sonst wäre sie nicht so außer sich.
Wenn ich Website sage, dann meine ich nicht Edies Profil bei MySpace oder Facebook oder so was. Ich meine ihre richtige eigene WEBSITE. Mit ihrer eigenen Internetadresse, ihrem eigenen Logo und allem Drum und Dran. Dort berichtet sie über ihre ganzen Hilfsprojekte, ihre Pläne, in Harvard zu studieren und die Welt zu retten, aber auch darüber, was wir so in der Schule machen (inklusive der Kommentare meiner Mutter zu meinen neuesten Outfits, damit es was zu lachen gibt) und wie es bei Krähe so läuft.
Inzwischen hat ihre Website jede Menge Besucher. Buchstäblich Tausende pro Woche. Die einen wollen wissen, wie es mit Ex-Kindersoldaten aus Uganda wie Henry weitergeht, die anderen, ob in der neuen Miss-Teen-Kollektion auch Krähes berühmter Blütenblätterrock zu haben ist. Dreimal dürft ihr raten, welche Rubrik mehr Leser hat.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand Edie als Lügnerin bezeichnet. Im Gegenteil, eine ihrer größten Schwächen ist, dass sie NICHT lügen kann. Manchmal wünschte ich, sie würde sich mal auf eine kleine Notlüge einlassen (»Der Mantel steht dir super, Nonie«; »Dein neuer Haarschnitt sieht klasse aus«; »Ich verstehe auch nicht, warum du in Erdkunde letztes Jahr so schlechte Noten hattest«), aber das würde sie nie tun. Sie spricht aus, was sie denkt, und zwar gnadenlos. Wer-auch-immer da was-auch-immer mit ihrer Website gemacht hat, muss die falsche Edie erwischt haben.
Vor meiner Nase prügeln sich zwei Miss-Teen-Kundinnen um einen smaragdgrünen Blütenblätterrock, der letzte seiner Größe. Der Laden ist erst seit einer halben Stunde auf und an den Kassen stehen sie schon Schlange. In weniger als zwei Jahren hat sich Krähe vom armen ugandischen Flüchtlingskind mit Leseschwäche zu einer Mischung aus Vivienne Westwood und den Olsen-Zwillingen entwickelt. Die Edelstein-Kollektion wird ein Riesenhit und in Andy Elats zufriedenen, verschmitzten Augen blitzen die Pfund-Zeichen auf.
Endlich, als die Regale immer leerer werden, entdecke ich Edie am Eingang und sie sieht ganz durcheinander aus. Sie trägt ihr rosa Glitzer-T-Shirt mit unserem Slogan »Weniger Mode – mehr Menschlichkeit«. Von jedem verkauften T-Shirt gehen zwei Pfund an Hilfsprojekte in Afrika für Kinder, die ihre Eltern im Krieg oder durch Aids verloren haben. Ratet mal, wer die Idee dazu hatte. Von Edie stammt auch der Vorschlag, heute jedem, der eine wiederverwendbare Stofftasche dabeihat, Rabatt zu geben.
In ihrem T-Shirt sieht Edie ganz untypisch modisch aus. Normalerweise versteht sie unter »schick« einen ordentlichen Faltenrock mit farblich
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