Modesty Blaise 01: Die tödliche Lady
zu Tarrants Überraschung trug Willie Garvin seinen Anteil mit Leichtigkeit bei. Und was noch überraschender war – er bezog seine Ansichten nicht etwa aus zweiter Hand von Modesty, ja sie wichen manchmal weit von den ihren ab. Seine starke Seite war alles Technische, und er war mit aktuellen Nachrichten auf dem laufenden. Auf den Gebieten der Kunst war sein Wissen beschränkt, innerhalb dieser Grenzen jedoch detailliert.
«Ich staune über ihn», sagte Tarrant leise zu Modesty, als Willie und Hagan in eine Diskussion vertieft waren.
Sie nickte zustimmend. «Er ist ein unersättlicher Leser und hat einen guten Verstand. Hätte er einen anderen Start gehabt, dann hätte er alles mögliche erreichen können.»
«Was liest er?»
«Biographien, Militärgeschichte, technische Bücher, technische Utopien – fast alles, außer Romanen und Reisebeschreibungen. Und er hat ein absolutes Gedächtnis.»
«Da beneide ich ihn», sagte Tarrant. «Wenn ich an die Dokumente denke, die ich durchackern muß …»
Er zögerte. «Es ist ein Jammer, daß er sich diesen Akzent nicht abgewöhnen kann.»
«Er kann schon. Aber ich glaube, er hält an ihm fest, weil er zu dem Platz im Leben paßt, den er für sich gefunden hat. Er hat diesen Platz gern. Aber er kann den Akzent verlieren, wenn er will.» Sie hob die Stimme etwas. «Willielieb, wir möchten gern eine Bemerkung über den Rotwein hören. Im Stil eines Weinkenners.»
Hagan brach die Diskussion ab und grinste Tarrant an. «Das ist umwerfend», sagte er.
Willie hob sein Glas und hielt es an die Nase. Er schnupperte anerkennend. Dann nahm er etwas Wein in den Mund, rollte ihn herum und schluckte. Tarrant bemerkte, daß Miene und Ausdruck genau und nicht übertrieben waren.
«Ein guter Kleiner», sagte Willie. Seine Stimme war leise und volltönend, die eines wohlerzogenen Feinschmeckers. «Prächtige Qualität tonaler Sonorität in der Form – aber vielleicht ziemlich dick auf den Beinen.»
Tarrant lachte und schüttelte den Kopf etwas kleinlaut. Er fragte sich, ob wohl auch er mitunter Gegenstand für Willies Nachahmungskunst war.
Hagan sagte: «Sie sollten die zwei da dazu bringen, ein amerikanisches Ehepaar bei der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten in Venedig zu spielen. Zum Verwechseln echt.»
«Macht ihr das alles nur so zum Spaß?» fragte Tarrant Modesty.
«O nein. Zur Übung. Wir mußten im Laufe der Jahre eine Menge Rollen spielen.»
«Für mich ist es nur Spaß. Spielt doch bitte diese Venedig-Szene!»
«Ein andermal. Ich habe dich und Willie unterbrochen. Worüber habt ihr diskutiert?»
«Über Waffen. Ich glaube, ich siege.»
«Ein Revolver ist laut, und ein Messer ist leise», erklärte Willie geduldig seinen Standpunkt. «Ein Revolver kann versagen, ein Messer aber nicht.»
«Ein Revolver ist schneller. Und man kann ja einen Schalldämpfer verwenden.» Hagan trug seine Sache verständig vor. In seinem Verhalten war, wie Tarrant bemerkte, keinerlei Überheblichkeit.
«Ich würde nicht sagen, daß sie schneller ist, Freundchen.»
«Vielleicht nicht im Vergleich zu dir, Willie. Aber wie viele Leute können schon ein Messer so schnell handhaben wie einen Revolver?»
«Wir reden nicht über Leute. Wir vergleichen Waffen.
Du mußt ihre Höchstleistungen im Gebrauch vergleichen.»
«Das glaube ich nicht, Willie», sagte Modesty nachdenklich. «Wenn du sagen willst, daß eine Waffe besser ist als die andere, dann mußt du sie wohl an der Durchschnittsleistung im Gebrauch messen.»
«Hm. Aber bei Messern ist nicht viel Durchschnitt.
Daher kommt es eben darauf hinaus, was für eine bestimmte Person das beste ist, Prinzessin. Dann aber hat man nichts zum Diskutieren.»
«Mit einem Revolver kann man ein halbes Dutzend Menschen in Schach halten», sagte Hagan.
«Das kann man auch mit einem Messer, Freundchen. Vielleicht muß man einen niederstechen, um den anderen zu zeigen, daß man sein Handwerk versteht; deshalb trage ich ja zwei Messer.» Er trank einen Schluck Rotwein. «Ehrlich gesagt, hast du doch ohnehin nichts für Schalldämpfer übrig, oder?»
«Sie sind unhandlich», gab Hagan zu. «Aber für die richtige Gelegenheit sind sie okay.»
«Ich bin dagegen. Es ist viel besser, man dämpft den Lärm durch Zurichten der Patronen. Zwar verliert man vielleicht etwas an Metern pro Sekunde, aber das fällt nicht ins Gewicht, wenn man genau ist. Mit einer Handwaffe muß man auf alle Fälle genau sein.»
«Nun ja, was immer man anwendet, Lärm hat
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