Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
daß Ihr Stromkabel vor der Baracke raucht?» Sie deutete gegen die Anlage hinter dem Griechen, wo die Kabel in Bodenhöhe durch eine Röhre von außen hereingeleitet wurden.
«Raucht?» Er drehte sich um, ihrer Handbewegung folgend. Sie machte einen großen Schritt vorwärts und schlug ihn mit dem Kongo unmittelbar hinter das Ohr. Er brach in die Knie, und noch ehe er auf dem Boden aufschlug, war sie bereits an der Barackenwand und klopfte sachte mit dem Kongo darauf.
Willie Garvin, der lauschend draußen gestanden hatte, war fünf Sekunden später herinnen und zog den Vorhang hinter sich zu. Modesty beugte sich über den bewußtlosen Mann und steckte ihm einen anästhetischen Stift in das eine Nasenloch.
Willie trat an die beiden Sender, zwei Ein-Kilowatt-Telefunken-Geräte heran. Der eine war in Betrieb, der andere diente als Reserve. Er zog das Fernsteuerungskabel aus dem Anschluß des Reservesenders und stellte einen direkten Anschluß her. Modesty stellte sich neben ihn und beobachtete, wie er die Frequenz auf der Scheibe studierte. Er trug dünne Baumwollhandschuhe.
Sie nahm einen Streifen Papier aus ihrer Tasche und legte ihn auf das Pult vor Willie. Darauf stand:
Mercycorps, London, zu Handen Dr. Letts. Betrifft Operation an Sergeant S. Pepys 528.625. Ihre Diagnose wird positiv bestätigt. Patient braucht große Mengen antibiotischer präoperativer Medikamente. Bitte um Beschaffung. Dr. Rampal.
Willie stellte den Sender auf eine Frequenz von 500 Kilohertz. Das war die Notruffrequenz, die jedes Schiff auf See ständig eingestellt hielt.
Selbst ein kleines Schiff mit bloß einem Funker würde über eine Vorrichtung verfügen, die ihn alarmierte, auch wenn er gerade dienstfrei hatte. Dem Funkgespräch eines Schiffes in höchster Not würde ein SOS vorangesetzt sein. Willie setzte seiner Meldung das Zeichen XXX voran, das auf eine geringere Dringlichkeit hinwies, jedoch dem Inhalt der Meldung entsprach. Eine Reihe weithin verstreuter Schiffe würde sie empfangen. Es war sehr gut möglich, daß sie mit Mißtrauen oder vielleicht als die Botschaft eines Verrückten aufgenommen wurde. Doch die Anschrift
Mercycorps
, London würde wohl genügend Gewicht haben, um sicherzugehen, daß die Meldung zumindest von einigen Kapitänen weitergegeben wurde.
Ein englisches Schiff würde sie über das Commonwealth-Netz nach Bombay oder nach Mauritius senden, von wo aus sie nach London weitergelangen konnte.
Willie drückte die Taste. Er sendete langsam, etwa fünfzehn Worte in der Minute. Er wiederholte das Vorzeichen und die Meldung selbst dreimal. Dann stellte er den Sender ab und steckte das Fernsteuerungskabel wieder um.
Modesty ging zu dem bewußtlosen Mann, nahm den anästhetischen Stift aus seiner Nase, legte ihn auf den Streifen Papier, auf dem die Meldung stand, und hielt ein Streichholz an das Papier. Als Stift und Papier zu Asche verbrannt waren, zerrieb sie sie in der Blechdose, die als Aschenbecher diente.
Willie war eben dabei, wieder die ursprüngliche Frequenz einzustellen. Er hatte die ganze Zeit mit raschen, exakten Bewegungen und steinernem Gesicht gearbeitet. Normalerweise hätte es ihm bei einer derartigen Sache unter der Haut geprickelt, oder es wäre ein Funkeln in seinen Augen gewesen oder ein anderes Anzeichen der Erregung, die ihn immer erfaßte, wenn eine tolle Aktion im Gange und das straffgespannte Seil der Gefahr einmal beschritten war. Nicht so diesmal.
Er drehte sich in seinem Stuhl um und sah Modesty an. «Das war’s also. Du kannst hundert zu eins damit rechnen, daß die Meldung Tarrant erreichen und daß sie niemandem außer ihm etwas sagen wird.»
In seiner Stimme lag ebenso wenig Gefühl wie in seiner Miene. Sie wußte, daß er im Augenblick wie ein für eine bestimmte Aufgabe programmierter Computer arbeitete.
«Nun gut.» Sie hielt den Blick auf den Mann auf dem Boden geheftet. Es gab nichts, was sie zu Willie hätte sagen können, um es ihm leichter zu machen.
Worte bargen die Gefahr in sich, daß sie die Barriere, die er um seine Gefühle errichtet hatte, wieder einrissen.
Auch sie hatte sich innerlich gewappnet. Das war ihre Methode des Selbstschutzes, die Gewähr ihrer Leistungsfähigkeit, und sie hatten sie bis zu einem gewissen Grad noch bei allen ihren Aktionen angewandt. Aber sie wußte mit tödlicher Gewißheit, daß sie diesen Schutz noch nie so notwendig gebraucht hatten wie jetzt und in den kommenden Tagen. Fünf Minuten verrannen in Schweigen. Dann bewegte
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