Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
war, war ihre Unterhaltung sehr kurz gewesen.
«Du hast mit ihr gesprochen?»
«Ja. Bloß etwa eine halbe Minute.»
«Es war ja auch keine Plauderstunde vorgesehen. Bist du sicher, daß es Lucille gewesen ist?»
«Sie war es bestimmt. Die Verbindung war gut. Ihre Stimme kam ganz klar hier an.»
«Was hat sie gesagt?»
«Was man ihr zu sagen erlaubte, nehme ich an. Daß es ihr gut geht, daß man ihr nicht weh getan hat, und dann wollte sie wissen, wann ich zu ihr käme. Schließlich weinte sie.»
«Lucille weinte?»
«Was hattest du denn erwartet?»
«Es wundert mich nur, Lucille weint doch sonst nicht so leicht.»
«Die Sache ist für sie nicht einfach. Sie hat furchtbare Angst.»
«Na schön. Wenigstens bist du jetzt sicher, daß sie am Leben ist?»
«Ja.»
Modesty hatte kurz genickt und war aus dem Büro gegangen.
Seither war zwischen ihnen kein Wort gefallen. Und nun wollte Willie mit ihr sprechen. Nicht hier, in der Messe, aber er wollte die Voraussetzungen zu einem Gespräch vorbereiten. Das kam ihr nicht überraschend; sie selbst hatte ebenfalls das Bedürfnis, wieder einmal offen mit ihm sprechen zu können, denn sie hielten sich beide so streng daran, eine Atmosphäre der Feindseligkeit vorzutäuschen, daß ihr Gehaben unbedingt echt wirkte.
Thamar zog den Bauern vor seinem König nach vorn.
Eine Hand tippte auf Modestys Schulter. Sie blickte sich um und sah Willie hinter sich stehen.
Er sagte: «Ich muß mit dir reden.»
«Worüber?»
«Ich war Dienstag vormittag mit meiner Abteilung auf die Häuser vorgemerkt.» Er meinte die Häuserzeile, die zu den Übungen für den Straßenkampf aufgestellt worden war. «Und du warst bei Liebmann und hast es auf nachmittag ändern lassen.»
«Tut mir leid. Ich brauche die Häuser vormittag selbst. Meine Abteilung hat an dem Tag eine Nachtübung, und da muß ich sie nachmittag ausruhen lassen.»
«Glaubst du vielleicht, ich hab keine Probleme?»
«Dann löse sie gefälligst.»
«Das werde ich. Ich werde mit Liebmann sprechen.
Er muß die Sache rückgängig machen. Und wenn er nicht will, gehe ich zu Karz.»
«Zum Teufel», fuhr sie ihn an. «Können wir uns das nicht untereinander ausmachen? Mach doch nicht so ein Wasser deswegen. Wir können ja drüber reden.»
«Bitte.» Er war kurz angebunden. «Wann?»
«Irgendwann einmal morgen vormittag.» Sie machte eine gereizte Geste zu Thamar, der unbewegt zuhörte.
«Jetzt habe ich keine Lust dazu.»
«Wann morgen?»
Sie sah auf das Schachbrett hinab, als hätte sie ihre Aufmerksamkeit bereits von ihm abgewandt. «Ich werde morgen um zehn Uhr eine Lastwagenladung Puppen zu den Häusern bringen und sie dort aufstellen. Du kannst mit mir hinfahren und mir helfen.»
«Danke. Ich habe eine Abteilung zu führen.»
«Ich ebenfalls. Aber eine Abteilung ist schließlich keine Ein-Mann-Show. Ich lasse sie morgen unter Brunig antreten, das wird ihm guttun. Und dein Haufen wird auch nicht auseinanderfallen, wenn du nicht dort bist.»
«Überlaß die Sorge um meinen Haufen ruhig mir.
Ich bin um zehn Uhr bei den Magazinen.» Er drehte sich um, nickte Sarrat und den Zwillingen zu und ging hinaus.
Tiefe Wolken hingen über dem Tal. Es war schwül und feucht. Willie lenkte den Lastwagen mit dem Stapel zerfetzter und von Kugeln durchsiebter Gliederpuppen. Sie sprachen erst, nachdem sie die letzte holprige Kurve am westlichen Ende des Kammes hinter sich gebracht und die Ebene rund um den See erreicht hatten.
«War es wirklich Lucille, Willie?»
Er ließ die Schultern sinken, atmete tief aus und nickte. «Ganz sicher, Prinzessin. Es war genau so, wie ich sagte.»
«Dann lebt sie, aber wir wissen nicht, wo.»
«Ich habe darüber nachgedacht. Möglicherweise ist sie irgendwo über der Grenze, nördlich oder östlich.
Taschkent vielleicht oder Kaschgar.»
«Weit weg von uns also.»
«Sehr weit.»
Sie zündete zwei Zigaretten an und reichte ihm eine. Der Wagen rollte in gleichmäßigem Tempo entlang des flachen Seeufers.
«Was willst du tun, Willie?» Sie wußte, daß er jeden Aspekt der Situation studiert hatte, genau wie sie, und sie war zu einem harten Entschluß gekommen.
«Wir müssen uns einmal klarwerden, für wen wir arbeiten wollen», erwiderte er langsam. «Für Lucille, für uns oder für Tarrant. Wenn es uns darum geht, Lucille am Leben zu erhalten, dann müssen wir die Operation Säbelzahn mitmachen bis zum Ende.»
«Ja, bis nach Kuwait, egal, was dort geschieht.»
«Aber wenn wir Lucille
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