Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
fallenließen, dann fänden wir vielleicht auch einen Weg, um hier herauszukommen.»
«Könntest du die Havilland Dove fliegen, Willie?»
Er zuckte die Achseln. «Ich habe nie zuvor eine geflogen, aber ich hatte genügend Flugstunden auf einer Beech-18, und es nicht viel Unterschied zwischen den beiden Maschinen. Ich glaube, ich brauche nicht mehr als zehn Minuten, um mich im Cockpit zurechtzufinden. Ich beobachtete den Piloten bei unserem Abflug in Kabul und gewann eine ziemlich gute Vorstellung von den Einrichtungen, aber ich konnte von dem Platz, auf dem ich saß, natürlich nicht alles sehen.»
«Und glaubst du, daß du aus diesem Labyrinth von Bergen herausfindest? Du mußt dich unterhalb der Gipfelgrenze halten. Höher bringst du die Maschine nicht hinauf.»
«Ich würde wohl ein wenig schwitzen dabei, aber bei Tageslicht müßte ich es schaffen können.»
Sie sagte: «Wenn wir uns also der Dove bemächtigen können, fliegen wir hinaus und schicken Tarrant eine Meldung. Säbelzahn platzt und Lucille stirbt.»
«Das ist so gut wie sicher.»
«Was willst du also wirklich tun, Willie?» Er schwieg lange, und als er dann sprach, klang seine Stimme müde. «Ich muß dir etwas sagen, Prinzessin, über das ich noch nie gesprochen habe. Über Lucille. Ich habe das Kind gern – das weißt du. Aber ich hatte niemals richtigen Kontakt mit ihr. Ich habe es versucht, aber ich glaube, ich habe kein Talent dazu.»
«Mir ging es auch nicht besser. Ändert das etwas?»
«Nein.» Er sah sie an. «Ich wollte es dir bloß sagen; es ändert überhaupt nichts. Ich ertrage einfach eines nicht: wenn man Kindern weh tut oder sie ängstigt.
Egal, welches Kind. Die meisten sind richtige Lausfratzen, aber doch eben Kinder.»
«Also willst du Lucilles wegen das hier alles mitspielen? Bis zum bitteren Ende?» Sie sprach ruhig und hielt den Kopf ein wenig geneigt, um ihn anzusehen, während er fuhr. Plötzlich vermochte sie seinem Gedankengang nicht zu folgen.
«Nein», entgegnete er, beugte sich über das Lenkrad und starrte freudlos geradeaus. «Auch in Kuwait gibt es Kinder. Viele, sehr viele, und du kennst die Befehle für die ersten vierundzwanzig Stunden, Prinzessin: Alle Botschafter und Ausländer sind in Gewahrsam zu nehmen – im Interesse ihrer eigenen Sicherheit –, und sodann hat rücksichtsloser Terror zu herrschen.» Er schüttelte den Kopf. «Stelle dir Brett, die Zwillinge und Sarrat vor – jeden einzelnen von ihnen! Denk an deine Leute, an meine und überlege, was geschieht, wenn die mit solchen Befehlen dorthin gehen. Es wird zu einer fürchterlichen Schlächterei kommen. Die Kinder und alle werden daran glauben müssen.»
Er steuerte den Lastwagen um eine große Kurve und brachte ihn vor der etwa hundert Meter langen Reihe von Holzhäusern zum Stehen. Er stellte den Motor ab, drehte sich um und blickte sie an. Äußerlich war er ganz ruhig. Welche Kämpfe er auch immer in seinem Innern während der letzten Tage ausgefochten haben mochte, er war damit fertig, und sein Entschluß stand fest.
Vor sich hinblickend, meinte sie: «Entweder Lucille oder die andern.»
«Darauf läuft es hinaus, Prinzessin. Weder wir noch Tarrant, noch Kuwait, noch sonst etwas, sondern einfach die Kinder zählen.»
«Hast du dir überlegt, ob du anders empfinden würdest, wenn Lucille unser eigenes Kind wäre, Willie, oder wenn –» sie zögerte – «oder wenn es um mich ginge?»
«Ja», erwiderte er schlicht. «Ich glaube, ich würde anders empfinden, aber ich glaube auch, daß das nicht richtig wäre.»
Sie nickte. «Es sieht so aus, als wären wir wieder einmal zum gleichen Ergebnis gekommen.»
«Das tun wir ja gewöhnlich.» Er rieb sich die Augen mit Zeigefinger und Daumen. «Wann versuchen wir es also mit der Dove?»
«Gar nicht, Willie.» Sie warf die Zigarette zum Fenster hinaus. «Es gibt bloß einen Weg. Und wenn wir den gehen, dann haben alle Beteiligten zumindest eine Chance – die andern, Lucille und Tarrant. Und wir.»
Er fuhr herum und starrte sie ungläubig an. Plötzliche Hoffnung flammte in seinem Blick auf. Er entspannte sich langsam und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Ein Grinsen breitete sich über sein gebräuntes Gesicht. «Und wie soll das funktionieren?»
Sie sah ihn wortlos an. Das Grinsen wich, und sein Ausdruck wurde verdutzt. Ihr Blick war hart und direkt, und eine leise Warnung lag darin. Er hatte diesen Blick noch nicht oft gesehen, aber er kannte seine Bedeutung. Ihr Entschluß stand
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