Moerder Im Gespensterwald
das Bücken bereitete, sodass selbst Uplegger die Geduld verlor.
»Ja, aber was haben Sie gesehen ?«
»Diese Jungens.«
»Was für Jungens?«
»Na, Jungens. Kinder.«
»Wie alt?«
»Jung.«
»Zehn, elf, zwölf? Vierzehn, fünfzehn?«
»Die sehen alle gleich aus.«
»Es waren nur Jungen?«
»Nee. Das Mädchen …« Sie verstummte.
»Ein Mädchen war dabei?«
»Es kam. Auf dem Fahrrad. Buh!«
»Buh?« Uplegger war nicht länger in der Lage, der Frau auf den Mund zu schauen, also betrachtete er ihr schwarzes Kleid. Es hatte einen sackförmigen Schnitt, und es war schwer zu sagen, wann man solche Kleider getragen hatte.
»Sie haben sie erschrocken.« Erschreckt, dachte Uplegger. »Huh, buh! Und sind herumgetanzt wie die Indianer. Dann haben sie das Mädchen vom Rad geschubst. Gewürgt. Mit Stöckern gehauen. Der Satan! Das war der Satan!« Sie schaute sich wieder um.
Natürlich hatte sie nicht gewagt fortzulaufen, weil sie dann vielleicht bemerkt und verfolgt worden wäre. Trotz ihrer schmerzenden Glieder hatte sie sich in eine Senke geduckt und gesehen, wie die Wetterstroms plötzlich auf dem Pfad aufgetaucht waren. Die Jungen, die gerade die leblose Karina ins Unterholz zerren wollten, hatten sich sofort auf die Schweden gestürzt, bewährt mit allem, was sich zum Niederschlagen eignete. Uplegger brauchte all seine Nervenkraft, um ihr nach und nach ihr Wissen zu entlocken, denn zu einem flüssigen Bericht war sie nicht fähig. Immer wieder kam sie auf das Böse und Satan zu sprechen, gab eigenartige Geräusche von sich, verlor sie den Faden. Ein paar Mal kam ihm der Verdacht, dass sie die Aufmerksamkeit, die sie unvermutet erhielt, genoss und das Ende der Befragung absichtlich hinauszögerte. Wie auch immer, schließlich erntete er den Lohn der Mühen, und da es völlig unmöglich war, dass sich Frau Kröber alles ausgedacht hatte, ergab sich endlich ein klareres Bild vom Tatablauf: Kinder hatten zuerst Karina ermordet und dann die Wetterstroms als Zeugen beseitigt. Sie hatten Karinas Körper in den Teppich aus der Hütte gehüllt und fortgetragen, was neue Fragen aufwarf: Warum nur sie? Die Jungen hatten ihre Fahrräder geholt: Woher? Am Anfang hatte Anni Kröber nicht von anderen Rädern gesprochen. Als die Luft rein zu sein schien, hatte sie gewagt, ihr Versteck zu verlassen. Zuhause angekommen, war sie seitdem nicht mehr nach draußen gegangen. Daran, jemanden zu verständigen, seien es Nachbarn oder die Polizei, hatte sie nie gedacht.
Barbara hatte die ganze Zeit geschwiegen, und erst auf dem Hof, auf dem sich die Feuerwehr mittlerweile den Katzen widmete, wurde sie gesprächig: »Sie haben vergessen, nach dem Lamm zu fragen.«
»Oh, pardon!« Uplegger verzog den Mund. »Wie konnte ich nur diese Sache allerhöchster Priorität vergessen.«
»Na, ich hätte auch fragen können. Ist nicht wichtig. Nicht so wichtig wie …«
»Nein, nein, ich gehe noch einmal zu ihr.«
»Jonas, ich …«
»Nein, ich gehe!« Uplegger, der mit anerkennenden oder aufmunternden Worten gerechnet hatte, stapfte durch Schlamm und Kot zum Haus.
Fünf Minuten später war er zurück. »Sie weiß nicht, woher das Lamm stammte. Einer der größeren Hunde muss sich auf die Jagd begeben haben – er hat es angeschleppt.«
»Wunderbar. Entschuldigen Sie meinen Komplettierungswahn.«
»Haben Sie inzwischen auch etwas getan?«
»Ah, echte Upleggersche Ironie! Ich habe verschiedene Maßnahmen eingeleitet, Herr Kollege. Jägerische Maßnahmen, wenn Sie wollen. Alle Jungs, die irgendetwas mit dieser Hütte zu tun haben, werden eingefangen und zur Dienststelle gebracht.«
Das war das Naheliegende. Eine Gruppe von Sieben-bis Neunjährigen war durchaus in der Lage, mehrere Menschen zu töten. Auch wenn Uplegger es nicht gern zugab und an seinen Sohn denken musste, es war möglich, und nun schien aus der immer wieder einmal erwogenen Eventualität Gewissheit zu werden.
Doch dann erhielt Barbara einen Anruf, der alles umstürzte.
***
Der Mann ohne Eigenschaften hatte sich in höchsteigener Person zum Revier Lichtenhagen begeben und mit ihm eine Phalanx von Mitarbeitern: Breithaupt, Ann-Kathrin Hölzel, Jürgen Lutze, Manfred Pentzien und weitere Kollegen der Sonderkommission. Sie hatten sich im Aufenthaltsraum der Schutzpolizei versammelt, wo in einer Ecke Holtfreter stand und Kaffee kochte. Als Uplegger vor Barbara eintrat und sich umschaute, wich er dessen Blick aus.
Barbara hatte die unbekannten Rufnummern von Kranbauers
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