Moerder Im Gespensterwald
erworben noch sprach sie überhaupt jemals mit irgendeinem Menschen, außer beim Einkaufen, aber man sah sie häufig durch die Gegend radeln, auf einem klapprigen Fahrrad, einmal mit, einmal ohne Anhänger. Obwohl schon weit in den 70-ern, legte sie beachtliche Strecken zurück, wenn es galt, Tiernahrung zu beschaffen. Und manchmal lagen große Reisetaschen auf dem Anhänger oder irgendwelche Gegenstände, die sie unter grauen NVA-Decken verbarg.
Der entscheidende Tipp war von der Mitarbeiterin der Kurverwaltung gekommen, die sich gegenüber Uplegger noch so entrüstet gezeigt hatte, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits eine Ahnung gehabt haben musste: Der Wunsch, den Ruf des kleinen Gemeinwesens zu schützen, hatte ihr aber erst einmal Schweigen auferlegt. Fünf Mordopfer waren jedoch eine schwere Bürde, und der Ruf war sowieso dahin; das musste ihr spätestens klar geworden sein, als sogar die Tagesschau den Mehrfachmord thematisierte. Nienhagen war plötzlich in ganz Deutschland berühmt, nur leider nicht als attraktives Seebad, sondern als Ort des Grauens. Als während der sonntäglichen Öffnungszeit dann auch noch Fremde auftauchten, die sich nach dem Tatort erkundigten, so als handle es sich um eine neue, ja überhaupt die einzige Sehenswürdigkeit, wählte sie die Nummer, die ihr der Lorbass hinterlassen hatte.
Lutze war es auch, der nun Barbara und Uplegger in Empfang nahm. Er kam kopfschüttelnd hinter dem Feuerwehrwagen hervor, und ihm folgte eine Frau in mittleren Jahren, die in ihrem weißen Kittel wie eine Ärztin aussah, allerdings Gummistiefel trug. Wie sich herausstellte, war Frau Dr. Zacharias Amtstierärztin, und eine solche wurde an dieser Stelle dringend gebraucht.
Während Barbara und sie ein paar Worte wechselten, schaute sich Uplegger um. Er überquerte die Doberaner Straße, in die eine Nebenstraße mündete, stellte fest, dass sie Neurethwischer Weg hieß. Auf der rechten Seite des Weges wurde just ein Neubaugebiet erschlossen, das noch recht wüst aussah, aber erste Einfamilienhäuser ragten bereits aus dem unbepflanzten Boden, der sich in Folge der Regengüsse in Schlamm verwandelt hatte. Ob er wollte oder nicht, Uplegger musste sofort wieder an Pfusch denken.
Direkt an der Ecke Neurethwischer Weg/Doberaner Straße befand sich ein kleiner Friedhof, und von dort warf er einen Blick auf das Grundstück der Anni Kröber.
Das Haus hinter der moosbedeckten Bruchsteinmauer wirkte heruntergekommen, fast wie eine Ruine. Auf dem Dach wuchs nicht nur Gras, sondern sogar eine kleine Birke, einige Fenster waren mit Brettern vernagelt, andere mit Pappe. Es gab nur, jedenfalls von dieser Seite aus, zwei intakte. Bereits von Weitem sah man, dass sie lange nicht geputzt worden waren.
Wie kann man nur so leben, dachte Uplegger, dann kehrte er zurück. Gemeinsam mit Barbara, dem Lorbass und der Ärztin betrat er das Anwesen. Und schreckte sofort zurück.
Der Anblick war unbeschreiblich.
IX Musterschüler
Pentzien hatte wieder das letzte Aufgebot geschickt, wohl weil er keine anspruchsvollen Aufgaben erwartete. Der Alte Hase und der Ex-Kieler fotografierten mit den Streifenbeamten um die Wette, eine Lichtbildmappe würde vermutlich ausreichen.
Bis auf ein paar Betonplatten beim Haus war der Hof schlammig, aber es war nicht nur regendurchtränkte Erde, die Barbaras Schuhe unwiderruflich verderben würde, sondern auch Tierkot. Mindestens zwei Dutzend verwahrloste Katzen erfasste sie auf den ersten Blick, dazu Hunde aller Farben und Größen, die meisten abgemagert und verstört; zwei besonders aggressive hatte einer der Schutzpolizisten erschießen müssen. Ihre Kadaver lagen im Moder im eigenen Blut, und es waren nicht die einzigen. Ohne Ställe, direkt auf der Erde, lebten Kaninchen und Meerschweinchen; sie hatten sich zwar Baue gegraben, aber den Hunden war es gelungen, den einen und anderen Nager zu erlegen. Zu alledem drang aus dem Haus der Lärm eines anscheinend riesigen Sittichschwarms.
Drei Feuerwehrmänner versuchten angestrengt, mit Drahtschlingen die Hunde einzufangen. Noch größere Schwierigkeiten würde es machen, der Katzen habhaft zu werden, die sich alle eine erhöhte Beobachtungsposition gesucht hatten.
Barbara wusste, dass man das krankhafte Sammeln von Tieren Animal Hoarding nannte. Offenbar gehörte das Horten zur menschlichen Natur; es nahm häufig maßlose Züge an und manchmal eben auch pathologische. Dann war es wie bei Alkoholikern: Anfangs beherrschte der Sammler
Weitere Kostenlose Bücher