Moerder Im Gespensterwald
den Sammeltrieb, dann beherrschte der Sammeltrieb ihn.
Sie wandte sich der Tierärztin zu: »Haben Sie schon einen Überblick?«
»Nur was die Wellensittiche betrifft. Als Studentin habe ich auf einer ornithologischen Station gearbeitet und gelernt, die Zahl von Schwarmvögeln zu schätzen. Es sind etwa hundert.«
»Hundert? Das gibt es nicht!«
»Oh, doch. Sogar in Einraumwohnungen. Manchmal in Symbiose mit Bello und Mieze. Alles schon dagewesen.« Dr. Zacharias seufzte.
»Was macht die Frau?«
»Sitzt in ihrer Küche und heult wie ein Schlosshund.«
Die Feuerwehrmänner hatten den ersten Hund gefangen, der sich verzweifelt jaulend wand, um der Schlinge zu entkommen. Barbara hatte den Eindruck, dass die Katzen feixten.
»Müssen wir uns das antun, Uplegger?«
»Ich fürchte, ja.«
»Wir leeren aber auch jeden bitteren Kelch bis zur Neige.« Barbara stieg über ein halb skelettiertes Kaninchen hinweg. »Wenn man es spickt, schmeckt es sogar. Aber ich werde so etwas nie mehr essen können.«
Die Küche glich eher der Futterküche eines Zoos als einer menschlichen Behausung: Vor dem Fenster waren Dosen zu einer Pyramide gestapelt, während leere überall herumlagen, selbst in der Spüle. Wellensittiche saßen auf dem Küchenschrank, der Lampe, der Gardinenstange, die keine Gardinen mehr trug, sie spazierten über den Tisch und äugten in die leeren Dosen. Die faulenden Futterreste verbreiteten einen infernalischen Gestank. Vor allem aber war es laut, denn die Vögel führten intensive Debatten.
Anni Kröber hockte, ein Häuflein Elend, am Küchentisch, während ein besonders frecher blauer Sittich auf ihrem Kopf saß und ihr spärliches Haar ausrupfte. Ihr eingefallenes Gesicht war nass, der schwache Leib zitterte. Ihre Befragung lag ganz in den Händen des sanften Uplegger, der sich zu ihr setzte, während Barbara sich, nicht ohne Ekel, an das Fensterbrett lehnte, das mit Federn und kleinen Kotkrümeln bedeckt war.
»Frau Kröber, hören Sie mich?«
Während Jonas das sprach, kehrten Barbaras Gedanken zu Kranbauer zurück. Im Vernehmungsprotokoll gab er an, er wisse nicht, warum sein Vater den Münzfund ausgerechnet dem Stockholmer Museum angeboten habe, allerdings habe er sich im letzten Sommer einen Traum erfüllt und sei mit der Diana auf dem Götakanal geschippert; das war eine Information, die Kommissar Beck bestimmt freuen würde. Von der ganzen Reise, besonders von Stockholm, sei der Vater begeistert gewesen, und vom Historischen Museum habe er regelrecht geschwärmt.
»Frau Kröber, hören Sie mich?«
Die Alte – Barbara hatte sie Hexe vom Gespensterwald getauft – hob den Kopf, der Vogel flog unter Protest davon. Aus leeren Augen starrte sie Uplegger an.
»Meine Kinder«, flüsterte sie. »Sie nehmen mir meine Kinder.«
»Sie werden es gut haben …«
»Sie hatten es immer gut!«
»Aber sehen Sie denn nicht, dass sie hungern?«
»Wer?« Bisher hatte sie die Worte durch die Lippen gepresst, jetzt öffnete sie den Mund und entblößte einen einzelnen Zahn. Nicht nur die Tiere hatte sie ganz offenbar vernachlässigt, auch wenn sie anders dachte, sondern sich selbst. Barbara kam ein ungeheuerlicher Verdacht. Sie betrachtete den Kühlschrank aus DDR-Produktion, der nicht brummte, dann löste sie sich vom Fensterbrett und öffnete ihn. Wie erwartet, war er außer Betrieb – und enthielt Vogelfutter. Im Küchenschrank stand nur ein bisschen altes Geschirr. Barbara hatte einen scharfen Geschmack im Mund, schwieg aber.
»Frau Kröber«, Uplegger legte sogar eine Hand auf ihren Arm, »Sie lieben Ihre Tiere wohl sehr?«
»Sie sind mein Einundalles.«
»Dann sorgen Sie sicher auch für eine würdevolle Bestattung?«
»Ja, früher …« Sie warf einen Blick zum Fenster, sah aber nicht, was draußen vor sich ging. »Früher bin ich einfach den Neurethwischer Weg lang und habe sie in den Ehbrauk gebracht. Aber da bauen sie jetzt. Sie haben Kinder, die im Wald spielen und mich ärgern. Sie werfen mit Steinen und Sand. Sie sagen schlimme Wörter. Sie sind böse.«
»Also bringen Sie die … die Verstorbenen jetzt in den Gespensterwald?« Sie nickte. »Gibt es dort denn keine bösen Kinder?«
»Oh, doch.« Sie schaute sich um, ängstlich, wie es schien. »Böse Kinder. Sehr, sehr böse.« Für eine Weile verfingen sich ihre Gedanken in einer Erinnerung oder im Wahn, und Uplegger wartete einfach ab.
Barbara musste wieder an Kranbauer denken. Das Geld, dass sein Vater vom Historiska museet
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