Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
miteinander Verkehr gehabt. Seine Frau wusste davon. Sie wollte deshalb von Sandner weggehen. Um das zu verhindern, entließ mich Sandner. Trotzdem trafen wir uns bis zum Tode seiner Frau in Osterhofen, Deggendorf und Straubing und setzten das intime Verhältnis fort. Immer wieder schwor er mir, ich sollte die Geduld nicht verlieren. Seine Frau sei schon alt und werde bald sterben ...«
Die Untersuchungsbehörde war überzeugt, mit den 66 Briefen Sandners an die Dorfmeister ein weiteres wichtiges Indiz für seine Täterschaft in der Hand zu haben. Der Staatsanwalt bewies dann später an ihnen die moralische Verkommenheit Sandners, der darin seine ganze Gefühlsrohheit sprechen ließ: »Die Alte ist ja so unsinnig dumm. Wenn sie stirbt, was liegt daran?«
Bevor das Gericht die Briefe beschlagnahmte, versuchten Sandners Töchter, diese der Dorfmeister abzukaufen. Sie boten ihr dafür 150 Gulden.
Die wichtigste Frage für das Gericht blieb jedoch, ob Sandner im Besitz von Strychnin gewesen war. Apotheker Seil aus Osterhofen sagte darüber aus: »Sandner bezog den größten Teil seiner Medikamente aus meiner Apotheke. Fr bezog aber auch Arzneien von pharmazeutischen Vertretern. In meinem Giftbuch ist vermerkt, dass er bei mir am 27. März, am 11. und am 26. April dieses Jahres insgesamt 1,61 Gramm in Wasser gelöstes Strychnin bezogen hat. Außerdem hat er Atropin und Blausäure in verschiedenen Mengen erhalten. Meiner Ansicht nach könnten mit der bei mir bezogenen Menge Strychnin eine Anzahl Menschen getötet werden.«
Über die Medizin befragt, die er nach Dr. Kufners Rezept am Todestage für Frau Sandner geliefert hatte, sagte er: »Diese Arznei habe ich aus einer größeren Flasche abgefüllt und zur gleichen Zeit auch an andere Patienten abgegeben. Bei diesen hat sie keinerlei nachteilige Wirkung gehabt.«
Nach längerem Suchen fand sich auch die Medizinflasche, die noch einen Rest dieser Arznei enthielt. Sie entsprach der ärztlichen Vorschrift und enthielt kein Gift.
Nachdem das Strafverfahren gegen Anna Kurz wegen Teilnahme am Mord mangels Beweisen eingestellt worden war, setzte das Appellationsgericht in Passau für Sandner einen Schwurgerichtsprozess an. In der Begründung hieß es: »Die Untersuchungen begründen den Verdacht, dass der Angeklagte seine Ehefrau Maria Katharina mit Hilfe von Gift vorsätzlich und mit Überlegung getötet habe.«
Am 4. Juli 1876 begann die öffentliche Verhandlung vor dem Schwurgericht in Straubing.
Die Berichterstatter schilderten den Angeklagten: Er ist 48 Jahre alt, von mittlerer Größe und ziemlich beleibt. Haare und Schnurrbart sind blond, sein volles Gesicht ist gerötet. Er trägt eine goldgefasste Brille. In seiner schwarzen Kleidung macht er den Eindruck eines gutsituierten Bürgers. Seine gewandte Ausdrucksweise verrät Intelligenz. Während der ganzen Verhandlung bleibt er ruhig und gelassen.
Sandner selbst versicherte zu Beginn des Prozesses, er sei unschuldig. Dann wurde er über seine Ehe vernommen, über seine Beziehungen zur Dorfmeister und zur Kurz. Die der Dorfmeister gegebenen Heiratsversprechungen bezeichnete er
als allgemeine Redensarten.
Als erste Zeugen wurden Katharina Dorfmeister und Anna Kurz vernommen. Beide wirkten äußerst gegensätzlich: die Dorfmeister groß, mager, mit dunklem Haar, die Kurz eine kleine unansehnliche Blondine. Die Zeuginnen bestätigten, was in der Voruntersuchung bereits erkundet worden war.
Im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Beweiserhebung, ob Frau Sandner mit Strychnin vergiftet worden war. Dazu war es notwendig, ein objektives Bild über den Krankheitsverlauf bis zum Eintritt des Todes zu gewinnen, diese Symptome von Sachverständigen untersuchen und ein toxikologisches Gutachten anfertigen zu lassen.
Da die Zeugenaussagen über Frau Sandners Todesstunde sehr wichtig für die Schuldfrage waren, sollen sie hier teilweise wörtlich wiedergegeben werden.
Die Hausmagd Reitinger hatte gleich nach Frau Sandners Tod das Schlafzimmer gereinigt. Sie gab an, kein Erbrochenes gefunden zu haben.
Die Kellnerin Polster setzte sich im Gerichtssaal auf einen Stuhl, um die Schreie und die Zuckungen der Sterbenden, die sie beobachtet halte, zu demonstrieren. Sie fügte hinzu: »Frau Sandner sprach sehr laut und schreiend. Sie sprach immer, wenn ein Anfall vorbei war. Aber bei Bewusstsein war sie immer. Ein Strecken der Füße habe ich nicht gesehen. Ich kann auch nicht sagen, ob Füße und Arme starr waren.«
Die
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