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Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Titel: Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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er an sie die Frage, ob der Angeklagte schuldig sei, seine Ehefrau vorsätzlich und mit Überlegung durch Gift getötet zu haben.
    Nach einer halben Stunde traten die Geschworenen wieder ein. Ihr Obmann verkündete, die gestellte Frage sei verneint worden.
    Das Gericht sprach den Angeklagten frei.
    Einige Zeit später heiratete Sandner die Anna Kurz.
    Vergegenwärtigt man sich heute nochmals den gesamten Fall und den Gerichtsprozess, so entstehen doch beträchtliche Zweifel an der Unschuld Sandners.
    Das Würzburger Obergutachten hatte schon die wichtigsten medizinischen Beweise für eine Strychninvergiftung genannt. Darüber hinaus ergeben sich aus heutiger Sicht weitere Indizien für eine Strychninvergiftung.
    Strychnin, so schrieb der Toxikologe Poulsson, habe eine kumulative Wirkung, »d. h., nach vielen kleinen, durch längere Zeit gegebene Dosen kann plötzlich Vergiftung auftreten, gerade als ob eine größere Menge auf einmal gegeben wäre.« Möglicherweise lassen sich die Monate vor ihrem Tode auftretenden Erkrankungen der Frau Sandner dadurch erklären. Sandner verabreichte ihr, sozusagen als Probierversuch, schon seitdem er sich im März das Strychnin beschafft hatte, kleinere Mengen des Giftes, und zwar, um dessen bitteren Geschmack zu verdecken, in dem bitteren Abführmittel Jalappa, das sie regelmäßig einnahm.
    Vergleicht man, ergänzend zum Würzburger Obergutachten, die Symptome einer Strychninvergiftung mit denen des Todeskampfes der Frau Sandner, ergibt sich eine noch größere Übereinstimmung, als sie das Obergutachten benannte. Die Erstickungsanfälle entsprachen einer Strychninvergiftung ebenso wie die krampfartigen Schmerzen im Nacken. Dabei, so Poulsson, »wird der Kopf von der Nackenmuskulatur etwas nach hinten gezogen«, was Dr. Kufner in seinem Bericht bestätigte. Die von den Zeugen geschilderte bläuliche Verfärbung des Gesichts wies auf die Vorgänge kurz vor dem Tode hin: »Schon geringe Reize ... sensibler Nerven können schwere Krämpfe auslösen, die sich meist steigern und unter Erschöpfung des Zentralnervensystems zum Tode an Erstickung führen. Das Bewusstsein bleibt in der Regel bis zum Eintritt des Todes erhalten.« So beschreibt der bekannte Toxikologe Prof. Dr. Fritz Reuter das Ende eines StrychninVergifteten.
    Das stärkste Argument, das die Geschworenen vor einem Schuldspruch zurückschrecken ließ, war unstreitig Prof. Buchners Gutachten. Warum Buchner kein Strychnin fand, lässt sich heute natürlich nicht mehr beantworten. Für die chemische Giftanalyse, so fordert Prof. Reuter in seinem Standardwerk über Gifte und Vergiftungen, sei vordringlich der Harn zu untersuchen. Harn stand fünf Monate nach dem Tode nicht mehr zur Verfügung.
    Aus andern Giftmordfällen wird die Unsicherheit ersichtlich, die in jenen Jahrzehnten beim Nachweis von giftigen Pflanzenalkaloiden herrschte, ebenso die geringe Erfahrung, von der der Gutachter Prof. Wislicenus sprach. Auch Mediziner können irren, und manchmal zugunsten eines Täters.
    So bleibt am Ende die Frage berechtigt, ob das Urteil über Dr. Sandner nicht ein Fehlurteil war. Denn jenseits aller Widersprüche in der naturwissenschaftlichen Beurteilung des Falles kam, wie Bezirksarzt Dr. Seibert beklagte, die psychologische zu kurz. Sandner hatte ein Mordmotiv, in dem sich materielle und sexuelle Interessen verbanden. Die ungeliebte ältere Frau hinterließ ihm nach ihrem Tode genug an Besitz und Geld, um - wie Sandners Mutter sagte - danach eine jüngere Frau zu nehmen, die gar nichts besaß.

    III. Kapitel: WENN DER AFFEKT ALLEIN DAS
    HANDELN LENKT

    Der Mann mit den zwei Gesichtern

    Edward Ruloff war ein hochbegabter, aber unsteter Mensch. Wie der Filmarzt Dr. Kimble war er ständig auf der Flucht - aber nicht, weil er unschuldig verfolgt wurde, sondern weil er Verbrechen beging.
    Als der Staatsanwalt schließlich für den jahrzehntelang Gejagten das Todesurteil forderte, nannte er ihn mit einem Anflug von Hochachtung den ungewöhnlichsten Menschen seines Zeitalters: Arzt und zugleich Gangster, Mörder und Wissenschaftler in einer Person - kurz, wie er zusammenfassend sagte: den Mann mit den zwei Gesichtern.
    Das Zeitalter, das diesen merkwürdigen Mann hervorbrachte, war selbst rauh und abenteuerlich. Es war die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den USA.
    Über Ruloffs Herkunft, Charakter und Bildungsweg ist nichts überliefert. Als sei er aus dem Nichts erschienen.
    Möglicherweise stammte er aus einer gutsituierten

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