Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
Badersfrau Baumhackel sagte aus: »Frau Sandner war bleich und unruhig. Der Schweiß floss ihr in Strömen vom Gesicht. Die Krämpfe dauerten immer nur einige Minuten.«
Der Bader Baumhackel und die Leichenfrau Luttow trafen eine halbe Stunde nach Frau Sandners Tod ein. Beide erklärten, der Körper der Leiche sei in den Gelenken noch beweglich gewesen.
Dann verlas der Richter jenen Bericht Dr. Kufners, den er im Oktober auf Verlangen der Untersuchungsbehörde
geschrieben hatte.
Darin hieß es: »Als ich am Morgen des 30. Juni in Frau Sandners Schlafzimmer kam, sah ich in ihrem Gesicht den Ausdruck größten Entsetzens. Sie sagte, dass sie vor einer Stunde die Arznei genommen, keine Wirkung gespürt, aber bald darauf furchtbare Schmerzen und Krämpfe bekommen habe. Als sie dies sagte, durchlief ihren Körper ein gewaltiger Stoß, sie stieß einen durchdringenden Schrei aus. Ein krampfhaftes Zucken, einem elektrischen Schlage gleich, durchfuhr Nacken und Arme. Der Puls war nur mäßig beschleunigt. Die Pupillen habe ich nicht beobachtet. Die Gesichtsmuskeln waren nicht erstarrt, Frau Sandner konnte deutlich reden. Ich fragte, ob sie sich irgendwie verletzt habe, denn die gewaltige Gereiztheit des Rückenmarks ließ mich an eine Starrkrampfinfektion denken. Aber Frau Sandner verneinte. Ich zog eine Morphiumspritze auf und wollte gerade injizieren, als ein neuer Anfall erfolgte. Die Arme streckten sich steif nach vorn, der Kopf wurde rückwärts gezogen. Rasch färbte sich das Gesicht bläulich. Alle Gesichtsmuskeln zuckten krampfhaft, die Augen waren weit aufgerissen.
Frau Sandner war tot. Alle Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.
Damals hatte ich an ihrem Tod nichts Verdächtiges bemerkt. Ich hielt ihn für die Folge einer Erkrankung des Rückenmarks.«
Zu diesem Bericht bemerkte Dr. Kufner nun vor dem Schwurgericht: »Als Sachverständiger kann ich auch heute unmöglich mit Bestimmtheit sagen, die Sandner sei an Strychnin gestorben. Aber ich halte es für möglich.«
Der Gendarmeriewachtmeister Weidner deutete an, dass Dr. Kufner als Zeuge befangen sei. Er sei nicht nur ein guter Freund des Angeklagten, sondern solle auch ein intimes Verhältnis mit dessen Tochter Amalie haben.
Dr. Kufner wies Weidners Aussage zurück. Er sei zwar mit der Familie Sandner befreundet, habe aber die Beziehung zu Dr. Sandner abgebrochen, als er von dem Verdacht gegen ihn erfuhr. Seine freundschaftlichen Gefühle zu den beiden Töchtern seien davon jedoch nicht berührt worden.
Universitätsprofessor Dr. Buchner sagte in seinem Gutachten u. a., dass er bei der chemischen Untersuchung der Körperreste der exhumierten Leiche kein metallisches Gift und keines der bekannten Pflanzengifte gefunden habe. Auch der physiologische Tierversuch an Fröschen habe keine Vergiftung ergeben. »Aus der ganzen chemischen Untersuchung muss ich schlussfolgern, dass in den Eingeweideresten der Leiche kein chemisch nachweisbares Gift enthalten ist ... Eine Vergiftung ist nicht wahrscheinlich.«
Prof. Dr. Wislicenus aus Würzburg stellte Buchners Ergebnis in Frage. Es sei völlig unmöglich, nach fünf Monaten in einer Leiche noch Strychnin finden zu können. Das Fehlen von Giftspuren beweise noch lange nicht, dass kein Giftmord vorliege. Da es auf diesem Gebiet noch wenig Erfahrung gebe, müsse man sich an Autoritäten halten. Er habe einige befragt, sie hielten einen Strychninnachweis auch nach fünf Monaten für möglich. Er bezweifele aber, ob diese Behauptung durch genügend Versuche begründet sei. Er müsse also unentschieden lassen, ob ein Giftmord vorliege.
Dann trug der Bezirksarzt Dr. Seibert sein Gutachten vor. Es fußte auf dem Bericht Dr. Kufners und den Zeugenaussagen in der Voruntersuchung. Er sagte abschließend: »Danach halte ich eine Vergiftung durch Strychnin für so wahrscheinlich, dass niemand, der auch noch die psychologischen Motive ... mit einbezieht, daran zweifeln kann.«
Besonders schwerwiegend war das Gutachten eines Sachverständigen-Komitees Würzburger Universitätsprofessoren. Dieses Obergutachten beantwortete die Frage des Gerichts, ob trotz des negativen Ergebnisses der chemischen Untersuchung ein Giftmord möglich sei, einhellig mit Ja. Ein Mord mit Hilfe
von Strychnin sei wahrscheinlich:
»Die Symptome einer Strychninvergiftung sind so charakteristisch, dass sie ein einwandfreies Hilfsmittel für die Gerichtsmedizin sein können. Diese Symptome können mit denen anderer Krankheiten nicht verwechselt
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