Mörderische Harzreise (German Edition)
Messern! Er gehört zwar zu den Guten, aber wenn man ihm weh tut, dann schneidet er euch den Hals auf. Nehmt euch in Acht vor dem Mörder, der von weit her kommt. Er bringt Menschen für Geld um. Wenn ihr Glück habt, wird er selbst erschlagen. Nehmt euch in Acht vor den Asiaten! Verjagt sie! Verbrennt das Bild, wenn der Sechste gestorben ist. Dann kann euch nichts mehr geschehen. Ich bin mit meinen Kräften am Ende. Ich kann euch nur diese Warnung aufschreiben. Verbrennt es nach dem sechsten Toten. Dann hat es keine Macht mehr.
Ferdinand und Lilly sahen sich verschwörerisch an. An Frau Kuhfuß gerichtet meinte Lilly: »Das ist ja grauenvoll. Ich bin wirklich keine ängstliche Person. Aber mir läuft es gerade eiskalt den Rücken herunter.«
»Ja, so ist es mir auch gegangen, als ich das letzte Nacht gelesen habe. Und das Schlimmste ist, dass einige Zeit nach dieser Eintragung der erste Todesfall in diesem Haus eingetreten ist: die Frau, die bei dem Brand ums Leben gekommen ist. Das muss meinen Großvater so sehr mitgenommen haben, dass er ganz weggetreten ist und kurz darauf starb. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, dem Spuk ein Ende zu machen. Ich hole jetzt dieses vermaledeite Bild und zünde es an.«
»Tun Sie das«, sagte Ferdinand.
Akio und Daiki waren zwei junge Japaner, die an der Technischen Universität in Clausthal-Zellerfeld studierten. Sie sprachen hervorragend deutsch. Die jungen Männer hatten keine Lust, in den Semesterferien nach Hause zu fliegen. Stattdessen hatten sie verschiedene Ziele in Europa bereist und waren nun wieder im Studentenwohnheim. Die restlichen Ferientage wollten sie nutzen, um sich den Harz genauer anzusehen. Heute waren sie bei schönstem Sommerwetter in Braunlage unterwegs. Nachdem Sie einige Stunden durch den Hochwald gewandert waren, wollten die beiden nun wieder in den Ort gehen, wo sie ihren Wagen geparkt hatten. Unglücklicherweise hatten sie die Orientierung verloren. Als sie an Ferdinands Haus vorbeiliefen, kam Akio auf die Idee, die netten alten Leute nach dem Weg zu fragen. Die Gartentür stand offen, sodass sie auf Ferdinand und Lilly zugingen, um nicht vom Zaun aus so brüllen zu müssen. Gerade in diesem Moment kam auch Frau Kuhfuß mit dem Bild aus dem Haus und erstarrte. Nehmt euch in Acht vor den Asiaten. Verjagt sie! ging ihr durch den Kopf.
Ferdinand sah sie jetzt auch. Sie standen schon fast vor ihm. Lilly erhob sich und machte mit ihren Händen Bewegungen, die signalisieren sollten Haut ab! und zischte dabei, als wolle sie besonders penetrante Enten im Park verjagen.
»Guten Tag«, sagte einer der jungen Männer und verneigte sich leicht. »Entschuldigen Sie die Störung. Wir haben uns verlaufen. Wie kommt man in den Ort, bitte?«
Ferdinand brachte nur heraus: »Weg! Ganz schnell weg hier!«, während er daran denken musste, was Frau Kuhfuß gerade vorgelesen hatte: Nehmt euch in Acht vor den Asiaten! Verjagt sie! Verbrennt das Bild...
Währenddessen warf Frau Kuhfuß das Gemälde auf den Rasen, goss Grillanzünder darüber und entzündete es.
Die beiden jungen Männer trauten ihren Augen nicht, und der eine sagte: »Was machen Sie denn da? Dieses schöne, wertvolle Bild!«
Dann schauten sich die beiden Männer an, als seien sie unter Wahnsinnige geraten, gingen rasch aus dem Garten und Akio sagte zu seinem Freund: »Die sind völlig verrückt. Lass uns schnell abhauen.«
Dann fingen sie an zu rennen, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre.
»Das ist gerade noch mal gut gegangen«, sagte Lilly, während die Flammen loderten und das Bild vernichteten.
Frau Kuhfuß erwiderte zufrieden: »So, jetzt kann nichts mehr passieren. Sechs sind gestorben, das Bild ist zerstört und die Asiaten sind vertrieben.«
Das Tagebuch
Am Abend ging Frau Kuhfuß zum ersten Mal seit längerer Zeit mit einer gewissen inneren Ruhe nach Hause. Dieser ganze Besucherhorror lag nun hinter ihr. Die Sache mit dem Bild war erledigt. Die Leichen waren begraben beziehungsweise in alle Winde verstreut. Jetzt konnte sie wieder allein für Herrn Dünnbier sorgen und alles etwas ruhiger angehen lassen. Die Jüngste war sie ja schließlich auch nicht mehr.
Zu Hause überlegte sie, was sie mit dem Tagebuch des Großvaters machen sollte. Verbrennen? Eigentlich hatte sie die Schnauze von diesem ganzen Zeug gestrichen voll. Auf der anderen Seite hatte sie es noch nicht komplett gelesen. Vielleicht käme ja noch etwas Interessantes dabei heraus. Die Neugier war stärker.
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