Moerderische Idylle
siehst du das«, fragte Holt.
»Vergiss es«, sagte die Staatsanwältin und schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht einmal geltend machen müssen, dass Einverständnis keine Rolle spielt. Was Techniker und Gerichtsmedizin sagen, reicht mehr als dicke.«
»Und da bist du dir ganz sicher«, fragte Holt.
»Hier ist die Rede vom Gericht in Växjö«, sagte die Staatsanwältin. »Ganz abgesehen davon, dass es ja nicht so passiert ist, falls er das denn behaupten sollte. Hoffentlich ist sein Anwalt so gescheit, dass er ihm davon abrät, es auf diese Tour auch nur zu versuchen.«
»Und was gibt es sonst noch? Die zweite Möglichkeit«, mahnte Holt.
Gedächtnislücke, erklärte die Staatsanwältin. Und sei es auch nur, um zu beweisen, welche tiefe psychische Störung bei ihm vorliegt. Um den Boden für alle sexuellen und anderen Übergriffe vorzubereiten, denen er als Kind ausgesetzt gewesen war. Von denen er auch erzählen würde, sowie er einer psychiatrischen Untersuchung unterzogen und mit den vielen Ärzten allein gelassen werden würde, die, anders als andere, den Menschen in die Köpfe blicken konnten. »Seit die Tanten und Onkels in den weißen Kitteln ihre kleinen Zauberkästen mit unseren neuen Gedächtnislücken auffüllen dürfen, erinnert sich kein Schurke mehr an irgendwas«, seufzte die Staatsanwältin.
»Was ist denn aus dem alten ehrsamen pathologischen Rausch geworden, unserem redlichen schwedischen Vollsuff«, fragte Holt und seufzte ebenfalls.
»Der ist verschwunden, als sie damit anfingen, alle sogenannten Suffköppe lebenslänglich ins Gefängnis zu stecken, obwohl denen doch nicht mehr erinnerlich war, dass sie am Vorabend ihren besten Freund erstochen hatten. Jetzt ist die Sache komplizierter. Schnöder Schnaps reicht nicht mehr aus. Nicht einmal, wenn du zwanzig Jahre und mehr dein Gehirn in Fusel eingelegt hast. Die gerichtspsychiatrische Wissenschaft macht nämlich Fortschritte. Immer wieder. Nur solche wie du und ich treten noch immer auf der Stelle.«
»Und wird er damit durchkommen?«
»Nicht vor dem Stadtgericht von Växjö«, sagte die Staatsanwältin. »Das kannst du vergessen. Aber bei der nächsten Instanz, wo wir landen, würde ich keine Wette eingehen.«
»Wegen Mordes verurteilt zur geschlossenen psychiatrischen Abteilung, mit der Möglichkeit einer späteren Entlassung«, mutmaßte Holt.
»Möglich oder vielleicht sogar wahrscheinlich«, sagte die Staatsanwältin. »Und der einzige Trost in diesem Zusammenhang ist wohl, dass die meisten Anwälte eine überaus seltsame Vorstellung von den Zuständen in heutigen geschlossenen Anstalten haben.«
»Kein Tanz auf Rosen«, sagte Holt.
»Kein Tanz auf Rosen«, sagte die Staatsanwältin.
95
Amzweiten Montag im Oktober gab es im Stockholmer Journalistenclub eine größere Veranstaltung, bei der aus Anlass des viel diskutierten Lindamordes Fragen der Rechtssicherheit besprochen wurden. Auf dem Podium saßen etliche überaus bekannte Medienpersönlichkeiten, und das (uwel in dieser medialen Krone war natürlich der Chefredakteur von Dagens Nyheter.
Er war allerdings bei weitem nicht der Vornehmste, wenn es nun darum gegangen wäre, die Anwesenden wie an der Tafel des Königs zu platzieren, denn der Eröffnungsredner und Ehrengast des Abends war der Justizkanzler, der JK.
Der JK brachte seine tiefe Besorgnis darüber zum Ausdruck, wie die Polizei im Lindamord und in anderen vergleichbaren Ereignissen der letzten Zeit ermittelt hatte. Nach den ihm vorliegenden Informationen hatte die Polizei von Växjö in Zusammenarbeit mit der Zentralen Kriminalpolizei von fast siebenhundert Personen freiwillige DANN-Proben gesammelt. Proben, die in sämtlichen Fällen bewiesen, dass die Betroffenen mit dem Verbrechen nichts zu tun hatten.
Nach Informationen, die seine Gewährsperson bei der Zentralen Kriminalpolizei eingeholt hatte, war der Mord außerdem auf die herkömmliche Weise durch eine Mischung von Tipps aus der Öffentlichkeit, Zeugenaussagen und normaler Ermittlung aufgeklärt worden. Die DANN des Täters hatte zwar eine nicht geringe Rolle in der Beweisführung der Staatsanwaltschaft bei der Voruntersuchung gespielt. Aber dennoch und ohne dem Urteil vorgreifen zu wollen, ging der JK davon aus, dass die vielen anderen Beweise von eher herkömmlicher Art für den Beschluss der Staatsanwaltschaft, Anklage zu erheben, absolut ausgereicht hätten.
Persönlich fand der JK es überaus besorgniserregend, dass in einem
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