Moerderische Idylle
erhalten hatte, sowie auf den hervorragenden Einsatz der Zentralen Kriminalpolizei bei der Registrierung des überaus umfangreichen Ermittlungsmaterials.
Doch letztendlich und nach Olssons fester Überzeugung hatten doch Orts- und Personenkenntnisse dafür gesorgt, dass sie den Täter gefunden hatten. Und das sollte man sich in Zukunft vor Augen halten und sich ernsthaft Gedanken darüber machen, wie man die Mittel der regionalen und lokalen Polizeibehörden im Hinblick auf die Ermittlung von schweren Gewaltverbrechen erweitern und auf diese Weise die Grundlage zu einer neuen Organisation legen könnte.
Nach dem Vortrag trat Lars Martin Johansson vor, um sich bei Olsson zu bedanken. Nicht nur im eigenen Namen. Noch nie hatten wohl so viele Kollegen einem einzigen von ihnen für so viel Scheißgefasel in so kurzer Zeit danken können, stellte Johansson in seiner höflichsten Manier fest. Und wenn Olsson in Zukunft Hilfe bei weiteren Selbstverständlichkeiten benötige, brauche er sich ja nicht die Mühe zu machen, Johansson und dessen Mitarbeiter damit zu belästigen.
Am Freitag, dem 28. Mai, hatte Lisa Mattei am Seminar für praktische Philosophie der Universität Stockholm ihre Disputation. Ihre Doktorarbeit trug den Titel »Zum Gedenken an das Opfer?«, und es ging darin vor allem um das Fragezeichen. Um die versteckte Botschaft in der Sprache der Medien, wenn sie über sogenannte Sexualmorde an Frauen berichteten, was die Kandidatin, ausgehend von einer Genderperspektive, analysiert hatte.
Die klassische semiotische Verbindung von Inhalt und Ausdruck und der seltsame Umstand, dass die Vornamen von fast zweihundert Frauen die Vorsilben der Sexualmorde bildeten, was deren Leben während der vergangenen fünfzig Jahre verändert hatte. Vom Birgittamord, dem Gerdmord, dem Kerstinmord und dem Ullamord, um nur vier landesweit bekannte und fünfzig Jahre alte Beispiele zu nennen, bis zu den im neuen Jahrtausend aktuellsten, dem Kajsamord, dem Petramord, dem Jennymord… dem Lindamord.
Diese Frauen aus Fleisch und Blut wurden ganz einfach in mediale Botschaften verwandelt. In Symbole, entsprechend dem semiotischen Sprachgebrauch. Damit die Allerbesten, so wie die Medien diese Fälle sahen, noch ein letztes Mal wiederverwertet werden konnten, falls die Polizei den Täter fasste.
Von der Polizeianwärterin Linda Wallin, zwanzig, zum Lindamord. Zum Lindamann und dann zu der gesamten Justizkette.
Symbole wofür? Was vereinte diese Frauen, abgesehen von der Art, in der sie ermordet, in den Medien beschrieben und endlich in die relative Vergessenheit der schwedischen Kriminalgeschichte verwiesen wurden. Es lag auf der Hand, dass das, egal, um welches Geschlecht es ging, keine ganz einfache Frage sein konnte. Männernamen dienten indes nie als Mordpräfix, egal, ob die Motive sexuell oder nur unbekannt waren. Nur Mensch zu sein reichte offenbar nicht aus. Man musste auch Frau sein, zugleich aber nicht irgendeine Frau.
Man musste Frau in einem gewissen Alter sein. Die Jüngste war mit nur fünf fahren vergewaltigt und erwürgt worden, aber mit Ausnahme eines Dutzends Prostituierter war keine älter als vierzig gewesen. Motiv und Vorgehensweise der Täter lieferten auch keine erschöpfende Erklärung. Die Anzahl von Frauen, die in diesem Zeitraum ermordet worden waren, weil den Täter sexuelle Motive angetrieben hatten oder weil gewisse Dinge, die er mit seinen Opfern gemacht hatte, zumindest andeuten konnten, dass solche Motive im Spiel gewesen waren, belief sich im selben Zeitraum auf an die fünfhundert.
Lisa Mattei hatte die für jeden denkenden Menschen und für jede Polizistin selbstverständliche nächste Frage gestellt. Warum hatten die Medien sechzig Prozent aller weiblichen Sexualmordopfer ignoriert?
Viele waren einfach zu alt gewesen. Die Älteste war mit über neunzig vergewaltigt und dann mit der flachen Seite einer Axt erschlagen worden. Viele hatten unter viel zu traurigen sozialen Bedingungen gelebt. Hatten es mit zu heruntergekommenen Männern gehabt. Viele waren von Tätern ermordet worden, die sofort oder sehr bald nach dem Verbrechen gefasst worden waren, und ihre Geschichten waren, dramaturgisch gesehen, einfach nicht gut genug gewesen.
Einfach und zusammengefasst hatte es ihnen an medialem Wert in der schlichten und finanziellen Denkart gefehlt, der es darum geht, mehr Zeitungen zu verkaufen. Die Bilder waren nicht gut genug gewesen. Der Text nicht spannend genug. Die Geschichten zu banal.
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