Mörderische Kaiser Route
Cafés und schauten hinab auf das zur Parklandschaft gestaltete Quellgebiet der Pader. Scheinbar aus allen Ritzen und Ecken sprudelte das Wasser, sammelte sich und floss stadtauswärts.
Über zweihundert Quellen waren es insgesamt, die die Pader speisten, ehe der Fluss nach einer Länge von gerade einmal vier Kilometern in die Lippe mündete, wie ich gelesen hatte. Damit war die Pader wahrscheinlich der kürzeste Fluss in Deutschland; allerdings nicht der kürzeste Fluss Europas. Das sei der Aril, der in den Gardasee fließe, klärte ich meinen unwissenden und ungläubigen Partner überlegen auf.
„Das ist es, was uns in Aachen fehlt“, meinte ich angesichts der sprudelnden Vielfalt sinnend zu Dieter. „Hier gibt es wenigstens fließendes Wasser. Bei uns kommt es fast nur von oben. Und das nicht zu selten.“
Auf der gegenüberliegenden Seite des Parks erblickten wir die Rückseiten eines Verwaltungsgebäudes und einer evangelischen Kirche. Hinter der Gebäudezeile befand sich das Wahrzeichen der ehemals erzkatholischen Universitätsstadt, der Dom. Wir konnten gerade die Turmspitze erkennen.
An der Wirkungsstätte des Paderborner Bischofs wollten wir am nächsten Morgen zu unserer Fahrt starten. Dort war in der Nähe des Grundrisses der ehemaligen Kaiserpfalz das Erste der sechseckigen, mit der Kaiserkrone bedruckten Hinweisschilder der Tour angebracht, die uns auf unserer Route an vielen interessanten Sehenswürdigkeiten aus verschiedenen Epochen vorbeiführen würden, wie der umfangreichen und informativen
Radwanderkarte einer Verlagsanstalt aus Bielefeld zur KaiserRoute zu entnehmen war.
Aber so weit waren wir noch nicht, wir saßen gemütlich im Café, ruhten uns aus, blätterten aufmerksam in zwei Tageszeitungen und informierten uns lieber über das Tagesgeschehen als über geschichtliche Ereignisse.
Ich hatte mir die rote Zeitung geschnappt, Dieter musste mit der grünen vorlieb nehmen. Doch in beiden Blättern lasen wir interessiert über ein spektakuläres Thema: Die Redakteure berichteten ausführlich und mit großem Entsetzen über den Fund einer Leiche auf einer Halbinsel bei Schloss Neuhaus, einem eingemeindeten Stadtteil von Paderborn.
An einem von ihnen als „Liebesinsel“ bezeichneten Ort war am Donnerstag eine achtzehnjährige Schülerin tot aufgefunden worden. Beide Zeitungen sprachen von einem grauenhaften Mord, da das Mädchen mit einer dünnen Drahtschlinge stranguliert worden war.
Die Fotos, die die Artikel bebilderten, sagten mir nichts. Ich erkannte Büsche, Wasser und eine kleine freie Fläche, die als Fundort der Leiche bezeichnet wurde.
„Ich wusste gar nicht, dass die hier im fernen Osten so brutal sind. Ich dachte, Mörder gibt es nur bei uns im Wilden Westen“, kommentierte ich den Bericht ironisch.
Ich lehnte mich zurück, gähnte ungeniert und streckte die Arme weit aus.
„Endlich einmal ein Mord, mit dem wir nichts zu tun haben.“ Ich grinste Dieter an, der mich nickend bestätigte.
Dieter hätte mein Spiegelbild sein können, so wie er da in seinem gepolsterten Stuhl herumlungerte, groß, schlank, kurzes, blondes Haar, blaue Augen und immer noch nicht vierzig. Es gab zwischen uns, derzeit noch abgesehen von der beruflichen Qualifikation, eigentlich nur einen gravierenden Unterschied, er war mit Do verheiratet und Sohn meines Patenkindes Tobias junior, ich hingegen war mit Sabine, der Patentante von Tobias und Schwägerin von Dieter, dokumentenlos liiert.
Zu meiner Genugtuung sah mein Freund wie ein normaler Mensch aus. Er hatte nach langem Zureden auf seinen grauen Anzug, auf Schlips und Hemd verzichtet, diese Kleidung aber, für alle Fälle vorsorgend, im Rucksack verstaut, und lief wie ich in Jeans und Sweatshirt herum.
„Das hätte uns gerade noch gefehlt, dass wir ausgerechnet in unserem Urlaub einen Mord aufgehalst bekommen“, pflichtete mir mein Freund bei. „Einmal muss endlich Schluss damit sein“, fuhr er in der Erinnerung an die Morde auf dem Tivoli oder an die blutige Geschichte bei der Karlspreisverleihung fort. „Die Verbrecher sollen sich bei ihren Taten jemand anderen aussuchen, aber nicht uns.“
Wir vertieften uns wieder in die Gazetten, ließen uns die warme Sonne Anfang August auf den Kopf scheinen und freuten uns, vom stressigen Alltag abschalten zu können.
Auch wenn wir es uns gegenseitig nicht zugegeben hätten, wir wollten die Kaiser-Route so schnell wie möglich abfahren. Sieben Tage für dreihundertsiebzig Kilometer waren nach
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