Moerderische Kuesse
Teint war teigig und gelbweiß, die Augen lagen tief in ihren Höhlen, und sie dünstete einen eigenartigen Geruch aus – den gleichen Geruch, der ihm auch an seinem Vater aufgefallen war.
Rodrigos Magen krampfte sich zusammen, doch er rang die aufsteigenden Tränen rücksichtslos nieder. Er konnte es immer noch nicht wirklich begreifen – Salvatore war tot. Einfach so von ihnen gegangen. Noch hatte sich die Neuigkeit nicht herumgesprochen, aber das war nur eine Frage der Zeit.
Rodrigo konnte sich nicht den Luxus gestatten, um Salvatore zu trauern; er musste sofort handeln, seine Position festigen und die Zügel in die Hand nehmen, ehe ihre zahllosen Rivalen wie eine Horde Schakale den Leichnam zu fleddern versuchten.
Als ihr Familienarzt erklärt hatte, Salvatores Beschwerden sähen nach einer Pilzvergiftung aus, hatte Rodrigo sofort reagiert. Er hatte drei Männer losgeschickt, die M. Durand aus seinem Restaurant geholt und ihn ins Haus gebracht hatten, während er selbst, gefahren von Tadeo, zusammen mit Lamberto und Cesare zu Denise Morel gerast war. Sie war die Letzte, mit der sein Vater gespeist hatte, und Gift war eine sehr weibliche Waffe, indirekt und ungezielt und mit zahllosen Mutmaßungen und Unwägbarkeiten verbunden. In diesem Fall hatte sie sich allerdings als äußerst effektiv erwiesen.
Aber falls ihr Vater durch ihre Hand gestorben war, dann hatte sie sich ebenfalls vergiftet, statt außer Landes zu fliehen.
Er hatte eigentlich nicht damit gerechnet, sie in ihrer Wohnung zu finden, da Salvatore ihm erzählt hatte, sie würde nach Toulouse fahren, um ihre bettlägrige Mutter zu besuchen; Rodrigo hatte das für eine ziemlich praktische Ausrede gehalten. Anscheinend hatte er sich geirrt – oder zumindest war die Möglichkeit eines Irrtums so groß, dass er die Frau nicht auf der Stelle erschossen hatte.
Er rutschte aus dem Wagen, hakte die Arme unter ihre Achseln und hob sie von dem Sitz herab. Tadeo half ihm, sie aufrecht zu halten, bis Rodrigo einen Arm unter ihre Knie geschoben und sie an seine Brust gedrückt hatte. Sie war durchschnittlich groß, knapp unter eins siebzig, aber von der Statur her eher schlaksig; obwohl sie wie tot in seinen Armen hing, trug er sie mit Leichtigkeit ins Haus.
»Ist Dr. Giordano noch da?«, fragte er, was ihm bestätigt wurde. »Sag ihm, dass ich ihn brauche.« Er brachte sie nach oben in eines der Gästezimmer. In einem Krankenhaus wäre sie besser aufgehoben, aber Rodrigo war nicht in der Stimmung, Fragen zu beantworten. Diese Bürokraten konnten so verflucht bürokratisch werden. Und wenn sie starb, dann würde sie eben sterben; er hatte alles unternommen, wozu er bereit war. Immerhin war Vincenzo Giordano ein echter Arzt, auch wenn er keine Praxis mehr führte und seine gesamte Zeit in jenem Labor am Stadtrand von Paris verbrachte, das ihm Salvatore finanziert hatte – obwohl Salvatore möglicherweise noch am Leben wäre, wenn er früher Hilfe gesucht und darum gebeten hätte, in ein Krankenhaus gebracht zu werden.
Trotzdem hatte Rodrigo die Entscheidung seines Vaters, Dr.
Giordano zu holen, nicht in Zweifel gezogen und sogar verstanden. Gerade wenn man angreifbar war, war Diskretion überlebenswichtig.
Er legte Denise aufs Bett, betrachtete sie nachdenklich und rätselte, was sein Vater an dieser Frau so faszinierend gefunden hatte. Zwar hatte Salvatore immer einen Blick für schöne Frauen gehabt, aber diese Frau stach wirklich nicht aus der Masse heraus. Natürlich sah sie heute mit ihren strähnigen, ungekämmten Haaren und einem Teint, als wäre sie schon tot, besonders unansehnlich aus, aber selbst in ihren besten Momenten war sie nicht wirklich schön. Ihr Gesicht war ein bisschen zu hager, zu streng, und sie hatte einen leichten Überbiss. Immerhin hatte dieser Makel zur Folge, dass die Oberlippe voller wirkte als die Unterlippe, und das allein verlieh ihren Zügen etwas Pikantes, das ihr sonst völlig gefehlt hätte.
Paris war voller Frauen, die besser aussahen und mehr Stil hatten als diese Denise Morel, aber Salvatore hatte sich auf sie versteift, und zwar so sehr, dass er vor lauter Ungeduld darauf verzichtet hatte, sie gründlich durchleuchten zu lassen, ehe er sich ihr näherte. Zu Salvatores großem Erstaunen hatte sie seine ersten beiden Einladungen ausgeschlagen, woraufhin sich seine Ungeduld zur Besessenheit gesteigert hatte. War er aus lauter Gier unvorsichtig geworden? War diese Frau indirekt für seinen Tod
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