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Mörderische Weihnacht

Mörderische Weihnacht

Titel: Mörderische Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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erforderte, und außerdem achtete er ohnehin kaum auf seine Stieftochter. Er zog sie nicht ins Vertrauen, machte ihr aber keine Vorschriften über ihr Verhalten. Er war eher aus Gleichgültigkeit denn aus Zuneigung großzügig.
    »Sag zu niemand ein Wort«, befahl er schließlich. »Was hätte ich zu gewinnen, wenn ich einem solchen Ruf folge? Aber alles zu verlieren! Haben nicht deine und meine Familie schon genug verloren, weil sie sich so treu jener Sache verschrieben hatten? Wie, wenn man ihm in die Mühle folgte?«
    »Warum sollte man ihm folgen? Niemand hegt einen Verdacht gegen ihn. In der Abtei hält man ihn für einen Gartenarbeiter und nennt ihn Benet. Man vertraut ihm. Am Weihnachtsabend wird niemand in der Nähe sein außer denen, die schon in der Kirche sind. Wo soll das Risiko sein? Die Zeit ist gut gewählt. Und er braucht Hilfe.«
    »Nun…« sagte Ralph, während er unschlüssig mit den Fingern auf der kleinen Rolle an seiner Brust herumtrommelte.
    »Wir haben noch zwei Tage. Wir wollen abwarten und alles beobachten, bis der Augenblick gekommen ist.«
     
    Benet fegte fröhlich pfeifend den Schnitt von der Hecke zusammen. Als er energische, leichte Schritte im feuchten Kies auf dem Weg hinter sich hörte, drehte er sich um und sah eine junge Frau in einem dunklen Mantel mit einer Kapuze, die sich ihm vom großen Hof her näherte. Ein kleingewachsenes, schlankes Mädchen, das sich aufrecht und selbstsicher hielt.
    Der Umriß ihrer schwarzen Gestalt schien sich im Abenddunst des stillen Tages etwas aufzulösen und zu verschwimmen. Erst als sie schon ganz nahe war, er war höflich einen Schritt ausgewichen, um sie passieren zu lassen, konnte er deutlich das rosige, junge Gesicht im Schatten der Kapuze sehen; ein rundes Gesicht mit einer Haut wie Apfelblüten, einem resoluten Kinn und einem vollen, festen, großzügig geschwungenen Mund, der die Farbe halb geöffneter Rosen hatte. Dann fiel das letzte Licht des Tages in ihre glockenblumenblauen, weit auseinanderstehenden Augen, die zugleich weich und strahlend schienen, und er sah nichts anderes mehr. Und obwohl er Platz gemacht hatte, um sie vorbeizulassen, und in der gemessenen Demut eines Dieners den Kopf gesenkt hielt, ging sie nicht vorbei, sondern verweilte, musterte ihn von nahem mit dem furchtlosen, unschuldigen Starren einer Katze.
    Wirklich, das ganze Gesicht hatte etwas von einer Katze: in Stirn und Augen breiter, als es von der Stirn bis zum Kinn lang war, zugespitzt und herrisch geneigt, wie ein Kätzchen, das sich der Welt stellt, ohne zu wissen, was Angst ist. Sie sah ihn ernst von oben bis unten an und ließ sich Zeit dabei. Es war eine schweigende Begutachtung, die frech gewesen wäre, hätte sie nicht offensichtlich einem sehr ernsten Zweck gedient.
    Allerdings konnte Benet sich nicht vorstellen, welches Interesse eine junge edle Landfrau oder gut betuchte Händlerstochter aus der Stadt an ihm finden mochte.
    Erst als die Frage, die sie sich in ihrem Kopf stellte, zu ihrer Zufriedenheit beantwortet war, fragte sie mit klarer, fester Stimme: »Seid Ihr Bruder Cadfaels neuer Gehilfe?«
    »Ja, meine Dame«, erwiderte der pflichtbewußte Arbeiter verlegen. Er scharrte mit den Füßen und brachte irgendwie sogar ein Erröten zustande, das schlecht zu seinem sonst so selbstbewußten und fröhlichen Gesicht passen wollte.
    Sie betrachtete die getrimmte Hecke und die frisch gejäteten und gedüngten Blumenbeete und dann wieder ihn. Er bemerkte verwirrt, daß sie einen Moment lang lächelte, doch im Nu war sie wieder ernst.
    »Ich bin gekommen, weil ich Bruder Cadfael um einige Kräuter bitten will. Wißt Ihr, wo ich ihn finden kann?«
    »Er ist dort drinnen in seiner Hütte«, sagte Benet. »Geht bitte in den umfriedeten Garten dort.«
    »Ich weiß den Weg«, erwiderte sie und neigte den Kopf, um sich ebenso edel wie schlicht zu verabschieden. Dann ging sie durchs offene Tor in die Mauern des Herbariums.
    Es war fast Zeit für die Vesper, und Benet hätte ohne weiteres seine Arbeit beenden und sich bereitmachen können, aber er dehnte sein Fegen unnötigerweise aus, baute die Zweige zu einem übertrieben ordentlichen Stapel zusammen, verstreute sie wieder und häufte sie noch einmal auf, um die junge Frau noch einmal von nahem zu sehen, als sie mit einem Bündel getrockneter Kräuter, das sie, locker in ein Tuch geschlagen, in den Händen trug, mit energischen Schritten zurückkehrte. Diesmal ging sie ohne einen Blick an ihm vorbei; jedenfalls

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