Mörderische Weihnacht
gutem Grund, denn es war der Rand eines Notenblattes, das Bruder Anselm vor zwei Tagen für seine Musik zurechtgeschnitten hatte. Aber das Siegel schien Wichtiges zu verheißen, auch wenn der Brief selbst so unbedeutend aussah. Der Diener zögerte immer noch, als hinter ihm ein Mädchen in die Türe trat und die unbekannte, aber sicherlich respektable Frau sah.
Das Mädchen erkundigte sich neugierig, was im Gange sei, und nahm bereitwillig die Rolle an sich, als sie das Siegel erkannte. Sie blickte Diota mit erschrockenen, strahlend blauen Augen an und gab ihr sofort die Rolle zurück.
»Kommt herein und liefert den Brief selbst ab. Ich führe Euch zu meinem Stiefvater.«
Der Herr des Hauses saß in einem kleinen, hellen Zimmer gemütlich am Feuer, einen Wein neben sich auf dem Tisch und einen zusammengerollten Jagdhund vor den Füßen. Er war ein großer, rötlicher, sehniger Mann von etwa fünfzig Jahren, mit etwas schütterem Haar und bärtig, adrett gekleidet und nach einem aktiven Leben etwas füllig geworden. Er sah exakt nach dem aus, was er war, nämlich der Herr über zwei oder drei Landgüter und ein Haus in der Stadt, wo er der Bequemlichkeit halber das Weihnachtsfest verbrachte. Er blickte verständnislos zu Diota auf, nachdem das Mädchen sie vorgestellt hatte. Doch er verstand sehr rasch, als er das Siegel sah, mit dem das Pergament verschlossen war. Er stellte keine Fragen, sondern schickte das Mädchen nach seinem Schreiber und lauschte aufmerksam, während ihm der Inhalt des Schreibens leise vorgelesen wurde; offensichtlich hatte der Schreiber sofort bemerkt, wie gefährlich dieser Inhalt sein konnte. Er war ein kleiner, runzliger, in Giffards Diensten ergrauter Mann und absolut vertrauenswürdig. Er kam zum Ende und beobachtete besorgt das Gesicht seines Herrn.
»Herr, laßt lieber nichts schreiben! Ein mündlich überbrachtes Wort ist sicherer, falls Ihr antworten wollt. Worte kann man leugnen, aber sie aufzuschreiben, kann eine Dummheit sein.«
Ralph dachte eine Weile schweigend nach, während er die ungewöhnliche Botin betrachtete, die geduldig und unbehaglich wartete.
»Sagt ihm«, erklärte er schließlich, »daß ich seine Botschaft empfangen und verstanden habe.«
Sie zögerte und wagte schließlich zu fragen: »Ist das alles, mein Herr?«
»Reicht das nicht? Je weniger gesagt wird, desto besser für ihn und mich.«
Das Mädchen, das unaufdringlich, aber aufmerksam in einer Ecke des Raumes gewartet hatte, trat aus dem Schatten und geleitete Diota zur Veranda hinaus, wobei sie achtsam die Türen hinter sich schloß.
»Meine Dame«, sagte sie leise in Diotas Ohr, »wo kann man ihn finden? Den Mann, der Euch schickte?«
Sie bemerkte sofort das entsetzte Schweigen und das zweifelnde Gesicht der älteren Frau, und da sie ihre Ängste verstand, beeilte sie sich ungeduldig, sie mit leiser, aber eindringlicher Stimme zu beruhigen. »Ich will ihm nichts Böses antun, Gott behüte! Mein Vater war von der gleichen Partei habt Ihr nicht gesehen, daß er das Siegel sofort erkannte? Ihr könnt mir vertrauen, ich will zu niemand etwas sagen, und zu ihm auch nicht, aber ich will wissen, wie ich ihn erreichen kann und wo ich ihn finde, falls es nötig ist.«
»In der Abtei«, sagte Diota leise und eilig, nachdem sie sich entschlossen hatte. »Er arbeitet im Garten unter dem Namen Benet für den Bruder, der sich um die Kräuter kümmert. «
»Oh, Bruder Cadfael - den kenn ich!« sagte das Mädchen zufrieden. »Als ich zehn Jahre alt war, hat er mich einmal wegen eines schlimmen Fiebers behandelt, und er kam vor drei Jahren zu Weihnachten auch zu meiner Mutter, als sie in ihre letzte Krankheit fiel. Gut, ich weiß, wo das Herbarium ist.
Geht jetzt, rasch!«
Sie blickte Diota nach, die eilig aus dem kleinen Hof huschte.
Dann schloß sie die Tür und ging in die Kammer zurück, wo Giffard zusammengesunken, mit gerunzelter Stirn und düsterem Blick nachdachte.
»Werdet Ihr zu diesem Treffen gehen?«
Er hielt den Brief noch in der Hand. Einmal hatte er schon eine impulsive Bewegung zum Feuer gemacht, wie um das Pergament hineinzuwerfen und es loszuwerden, aber er hatte sich beherrscht, und nun rollte er es sorgfältig zusammen und barg es an der Brust unter seinem Gewand. Sie nahm dies als einen Gunstbeweis für den Absender und freute sich. Es war nicht überraschend, daß er nicht direkt antwortete. Schließlich handelte es sich um eine ernste Angelegenheit, die gründliches Nachdenken
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