Mörderischer Auftritt
Was stimmte. Sie trug einen pinkfarbenen Hosenanzug, und ihr Haar war von einem dunkleren Blond als sonst. Den Pony trug sie zur Seite gekämmt, ihre Haut schimmerte.
»Danke. Ich war bei Delta Hairlines, und da hat eine Dame kostenlose Verschönerung als Werbung für irgendeineneue Senioren-Kosmetikserie angeboten. Ich habe ihr gesagt, dass ich erst vierundsechzig sei, aber sie hat mich trotzdem behandelt.«
»Vierundsechzig, hä?«
Schwesterherz antwortete nicht. In Wirklichkeit ist sie sechsundsechzig, aber an ihrem letzten Geburtstag hat sie entschieden, von nun an rückwärts zu zählen. Ich bin fünf Jahre jünger als sie, oder zumindest war ich das. In ein paar Jahren werde ich älter sein als sie, und sie wird bald keinen Anspruch mehr auf Rentner-Verschönerungskuren haben.
»Ich habe ihr einiges von der Kosmetik abgekauft und wollte dir eigentlich auch etwas mitbringen, aber unsere Hauttöne sind vollkommen unterschiedlich.«
Das stimmte. Alles an uns war unterschiedlich. Sie hat einen olivenfarbenen Teint und braune Augen, und ich habe helle Haut und hellbraune Augen. Während ich rotblondes Haar hatte, war Schwesterherz brünett. Jetzt bin ich grau, und sie ist gewöhnlich rotblond. Hinzu kommt, dass ich Größe 36 trage – und weiß Gott, welche Größe Schwesterherz hat. Wen wundert es da, dass ich ihr als Kind geglaubt habe, wenn sie mir erzählte, ich sei adoptiert worden? Alle glaubten ihr. Ich war nur froh, dass wir zu Hause geboren wurden und es deshalb keine Gelegenheit zu einer Verwechslung im Krankenhaus gegeben hatte.
Ich schloss erneut mein rechtes Auge. Einer der Punkte im linken sah tatsächlich ein bisschen so aus wie ein Mehlwurm. Ich rollte meinen Augapfel hin und her.
»Machst du das mit Absicht oder hast du so eine Art Tick?«, wollte Mary Alice wissen.
»Ich mache das bewusst.«
»Gut, ich bin nämlich gekommen, um dir Neuigkeiten zu erzählen. Virgil und ich haben den Termin festgelegt.«
»Wofür?«
»Für die Hochzeit, Patricia Anne. Sei nicht so schwer von Begriff.«
»Schwer von Begriff? Ich wusste nicht einmal, dass du verlobt bist. Was ist eigentlich mit Cedric passiert?«
»Wem?«
»Dem Mann, mit dem du meines Wissens zuletzt verlobt warst.«
»Ach, ich denke, es ist aus zwischen uns.« Sie nahm mit gedankenvollem Blick ein Schlückchen von der Cola. »Ich meine, er ist in England und so. Ich werde es ihn aber wissen lassen.«
»Das wäre sehr rücksichtsvoll. Du könntest ihn ja zur Hochzeit einladen.«
»Nun ja, wir waren nie wirklich ernsthaft verlobt.«
Sarkasmus kommt bei dieser Frau überhaupt nicht an.
»Sei’s drum«, fuhr sie fort, »die Hochzeit wird am 14. Mai sein. Virgil geht am 1. April in den Ruhestand, und wir kaufen uns ein Wohnmobil und fahren auf unserer Hochzeitsreise quer durch den Westen. Klingt das nicht lustig?«
Virgil Stuckey, der in Bälde mein Schwager sein wird oder auch nicht, ist der Sheriff des St. Clair County. Er ist ein ausgesprochen netter Mann, fünfundsechzig Jahre alt und größer als Mary Alice. Das Wohnmobil sollte besser keines von der kleinen Sorte sein.
»Es war Virgils Idee. Auf meiner ersten Hochzeitsreise hat mich Will Alec nach New York mitgenommen, mit Philip bin ich nach Paris gefahren und mit Roger in die Karibik nach St. Croix. Virgil meinte, eine Reise mit dem Wohnmobil wäre mal was anderes.«
»Da hat er recht.« Und ein ganzes Stück billiger ist es auch. Schwesterherz durchbrach mit dieser Heirat eingefahrene Muster. Die drei anderen Ehemänner waren alle sehrreich und jeweils achtundzwanzig Jahre älter als sie gewesen. Aber mit vierundsechzig (oder sechsundsechzig) ist es schwer, dieses Muster aufrechtzuerhalten.
Ich fragte mich, wie eingehend sich Schwesterherz mit Wohnmobilen befasst hatte. Ich veränderte die Position des feuchten Küchentuchs an meinem Hinterkopf und dachte darüber nach, wie mein Mann Fred und ich wohl auf einer langen Wohnmobil-Tour klarkämen. Wir sind seit fast einundvierzig Jahren verheiratet und liegen selten über Kreuz, aber in dem Fall würden wir uns wahrscheinlich schon lange vor Erreichen des Mississippis gegenseitig an die Gurgel gehen. Ehrlich gesagt: Auf Reisen kommen wir gar nicht gut miteinander aus.
»Haben diese Dinger ein Klo?«, fragte ich in Erinnerung an eine Fahrt durch South Carolina, als Fred ständig sagte: »An der nächsten Ausfahrt«, und ich das Gefühl hatte, gleich zu platzen.
»Mit Sicherheit.« Schwesterherz runzelte leicht die Stirn.
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