Mörderischer Blues
verbracht, der um Kap Horn segelt, und mir wäre plötzlich
eingefallen, daß es noch Mädchen gibt. Über mir strahlten die hellerleuchteten
Fenster eines Restaurants in die Nacht, und leise Tanzmusik drang an mein Ohr.
Als ich es betrat, sah ich, daß
der Laden ziemlich voll war — und laut, so laut, daß mir die Trommelfelle
schmerzten. Ich arbeitete mich zur Bar vor und winkte den Oberkellner heran.
»Guten Abend, Sir«, sagte er
höflich. »Was darf es sein?«
»Ich suche ein paar gute
Freunde von mir«, sagte ich ihm. »Miss Gloria Van Raven und Mr. Edward
Woolrich. Sie sagten mir, ich würde sie hier treffen.«
»Tut mir leid, Sir.« Er
schüttelte langsam und bedauernd den Kopf. Aber es hatte sich gelohnt, bei ihm
auf den Busch zu klopfen. Sein Bedauern war offensichtlich von der Art, das
sich mit ein paar grünen Scheinen besänftigen läßt. Ich holte meine Brieftasche
hervor und zog eine Fünf-Dollar-Note heraus. Er warf einen kurzen Blick darauf,
schüttelte den Kopf und begann, die Theke mit einem Tuch zu polieren.
»Ich fürchte, ich habe Ihre
Freunde heute abend nicht gesehen«, bemerkte er
überflüssigerweise.
»Halten wir uns nicht lange bei
der Vorrede auf«, schlug ich vor. »Sind fünfundzwanzig Dollar genug? Oder haben
sie noch mehr angelegt, damit Sie die ganze Nacht über diesen geistesabwesenden
Ausdruck zur Schau tragen?«
»Es waren fünfzig Dollar«,
antwortete er sanft.
Ich legte dazu, was fehlte, und
hielt ihm die Scheine hin, die er mir mit geübtem Griff aus der Hand nahm und
hinter der Bar in die Hosentasche steckte.
»Das ist drollig, mit diesem
Gedächtnisschwund«, meinte er. »Plötzlich kann ich mich wieder erinnern.«
»Machen Sie hin, Mann«, sagte
ich. »Oder Ihnen schwindet zur Abwechslung was anderes!«
»Ich glaube, Sie finden Ihre
Freunde auf der anderen Seite des Highways in einer der kleinen Mietkabinen«,
kam er endlich mit der Sprache heraus. »Eine erstaunliche Anzahl unserer Gäste
mieten solche Kabinen. Meist sind es Leute von den Jachten. Sie scheinen alle
das Wasser sehr schnell über zu bekommen.«
»Das kann ich mir vorstellen«,
antwortete ich kühl. »Was für eine Nummer hat die Kabine?«
»Das weiß ich nicht.«
Einen Augenblick lang war ich
drauf und dran, ihm die Zähne in den Hals zu schlagen, aber dann bekam ich doch
den Eindruck, daß er es wirklich nicht wußte.
»Aber Sie können es erfahren,
nicht wahr?« fragte ich erleichtert. »Für weitere fünfundzwanzig werden Sie es
ohne Mühe herausfinden, wie?«
»Ich muß dann rasch erst mal
telefonieren«, sagte er freundlich. »Wenn Sie mich einen Moment entschuldigen
wollen, Sir?« Er ging zum Telefon am anderen Ende der Theke und war innerhalb
von dreißig Sekunden zurück.
»Nummer dreiundsiebzig«, sagte
er. »Sie finden die Kabine an der Rückseite der Reihe, weitab vom Schuß. Es ist
sehr ruhig und friedlich da draußen, Sir. In einer stillen Nacht können Sie
einen Büstenhalter zu Boden fallen hören.«
»Ich wette, Sie verbringen eine
Menge Zeit damit, draußen zu lauschen«, schnarrte ich.
Er zuckte die Schultern.
»Um was geht es?« fragte er.
»Eine Scheidungssache?«:
Ich schüttelte den Kopf.
»Dieser Bursche ist mit meiner
Frau durchgegangen. Ich werde ihm den Schädel einschlagen!«
Als ich die Straße zehn Minuten
später überquert hatte und an der Rückseite der Kabinen entlangging, gewann ich
den Eindruck, daß der Oberkellner mich nicht angeschwindelt hatte, denn es war
wirklich sehr still. Zehn Kabinen passierte ich, bevor ich es auch nur einmal
kichern hörte.
Die Nummer 73 war mit weißer
Farbe an die Kabinentür gemalt, und an der Seite des mit einem Vorhang
verhängten Fensters fiel ein schmaler Lichtstreif heraus auf den Weg. Ein paar
Sekunden lang lauschte ich an der Tür und hörte das leise Murmeln von Stimmen.
Als ich klopfte, verstummten die Stimmen, und das war auch alles. Zur
Abwechslung hämmerte ich ein bißchen mit dem Absatz gegen die Tür, bis sie im
Rahmen wackelte.
Fünf Sekunden später wurde sie
heftig aufgerissen, und vor mir erschien ein rotgesichtiger Bursche, der
reichlich wütend aussah. Er war mittelgroß, aber stämmig. Sein Gesicht mußte
regelrecht hübsch gewesen sein, bevor er, Fett angesetzt hatte, aber auch jetzt
noch sah es nicht übel aus. Sein blondes Haar war kurz geschnitten und seine
blauen Augen leicht blutunterlaufen.
»Was, zum Teufel, wünschen
Sie?« knurrte er mit belegter Stimme.
»Gloria Van Raven«, sagte
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