Mörderisches Musical
zwei«, sagte
O’Melvany. »Fahren Sie uns zur Fähre«, gab er dem Fahrer an.
Sonya strahlte und hielt O’Melvanys Hand.
»Zur Fähre? Die Staten Island Ferry?«
Wetzon war seit ihrem ersten Jahr in New York
nicht mehr auf der Fähre gewesen.
Die Anlegestelle der Staten Island Ferry lag am
Anfang des Broadway unterhalb vom Battery Park. Die Fähre füllte sich gerade,
als sie ankamen. Viele Menschen strömten auf das Schiff, dessen Name AL war.
AL, dachte Wetzon. Eine Fähre namens AL? Und
dann sah sie, daß die Rettungsringe alle mit American Legion bezeichnet
waren.
Sie ging auf das Vorderdeck hinaus. An dem
Metalldach über ihr hingen weitere Rettungsringe.
Eine warme Brise zerwühlte ihr Haar, wie ein
Geliebter es tun würde. Sie biß sich auf die Lippe, um die Tränen
zurückzuhalten.
Wie hatte sie jemals geglaubt, sie könnte ohne
ihn leben? Die Erkenntnis machte sie wie betäubt.
Der Himmel zeigte sich in einem naiven Blau mit
weißen Wölkchen. Der Geruch nach Salzwasser und Seetang brachte Erinnerungen an
die Küste Jerseys, wo sie aufgewachsen war. Unter ihr war das Wasser mit Schaum
gesprenkelt. Manhattan wich langsam zurück. Rechts von ihr stand die
Freiheitsstatue majestätisch im Hafen von New York. Die Maschine der Fähre
summte, während das Schiff über den Fluß glitt. Touristen riefen einander zu
und fotografierten; ein Kind im Sportwagen weinte.
»Alles in Ordnung?« fragte Sonya.
»Eigentlich nicht, aber ich kriege es hin.«
»Es tut mir leid. Eddie dachte... ich dachte...«
Sonya machte ein trauriges Gesicht.
»Schon gut. Heute ist euer Tag. Seid glücklich.«
Eddie küßte Sonya auf die Stirn, und sie gingen
Hand in Hand weg.
Nach einer Weile ging sie hinein. Ein alter
griechischer Schuhputzer mit einem altmodischen Putzkasten leierte herunter:
»Schuhe putzen, Schuhe putzen.«
Sie ging über die Mitteltreppe zum Oberdeck und
trat ins Freie. Hier oben befanden sich weniger Leute. Sie lehnte sich an die
Reling und starrte hinunter in das schäumende Wasser. Irgendwo unten spielte
jemand Gitarre und sang ein Lied der Beatles.
»Wo ist dein Ring?« Seine Schulter streifte
ihre.
Sie sah ihn nicht an. Sie konnte nicht. »Ich
habe ihn zurückgegeben.«
»Warum?« Er schob seine Hand unter ihre
Kostümjacke, und die Haut auf ihrem nackten Rücken prickelte. Sie fühlte, wie
alles in ihr zu ihm hinströmte.
»Mein Gott, Silvestri, was machst du mit mir?«
»Ich liebe dich, Les.«
Sie ließ das eine Weile in sich einsinken. Seine
Hand brannte auf ihrer Haut.
Als sie in Staten Island umkehrten, zahlte er
ihren Fahrpreis, ohne ihre Hand loszulassen. Vor ihnen drehte sich Sonya um und
lächelte.
Sie blickten auf dem Oberdeck zusammen auf
Manhattan.
»>Wir waren sehr müde, wir waren sehr
fröhlich...<« Wetzons Augen füllten sich mit Tränen, und sie wischte sie
nicht weg.
»>...wir waren die ganze Nacht hin und her
gefahren auf der Fähre...<« Silvestri beendete das Millay-Zitat für sie und
schien zufrieden mit sich.
»Wohin wird das mit uns führen, Silvestri?« Sie
sah zu ihm auf, als die Fähre vorsichtig anlegte. Seine Augen waren strahlend
türkis. Sie hob ihr Gesicht zu ihm, und er küßte sie.
Die Fähre vibrierte einen Moment, bevor sie zur
Ruhe kam.
»Keine Versprechungen, Les. Probieren wir es
einfach, Tag für Tag.«
Sie stieß ihn weg und stellte sich vor ihn, die
Hände auf den Hüften. »Verdammt, Silvestri. Ich wette, du hältst dich für die
große Liebe meines Lebens.«
Er strich die Haarsträhnen von ihren Augen weg.
Sein Lachen war reine Freude.
»Genau«, sagte er.
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