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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
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energisch den Reißverschluss der Jeans hoch. Vorm Waschbecken war der kurzfristige Energieschub allerdings schon wieder verpufft. Fredo ließ Wasser über die Hände rinnen und starrte sich im stockfleckigen Spiegel an. Fredo Fried, vor vierunddreißig Jahren als Landei im Nirgendwo der norddeutschen Tiefebene – sprich: Bornstedt – gestartet. Nach dem Abi ab in die Großstadt, erst Köln, später Berlin, nie wieder Provinz. Diverse angefangene und abgebrochene Studiengänge. Es hatte ihm nicht am Stehvermögen gemangelt, um ein Studium zu Ende zu führen. Es hatte bloß immer wieder etwas gegeben, was Fredo interessanter fand als das, womit er sich gerade beschäftigte. Bei den Jobs lief es lange genauso, bis er bei der Fernsehschreiberei hängengeblieben war. Aber diesmal war es entschieden anders als früher: Es gab nichts, was er gerade interessanter gefunden hätte – und das, obwohl er seinen Job bei der SIGMA schon lange hasste. Irgendwie war ihm die Begeisterungsfähigkeit abhandengekommen. Lag das etwa am Alter?
    Fredo beugte sich ein wenig vor und inspizierte sein Spiegelbild. Volle dunkle Haare, gut gestylt und genau im richtigen Maß verstrubbelt, so dass die Frisur lässig, aber nicht ungepflegt wirkte. Um die hellbraunen Augen herum mäanderten ein paar Lachfältchen, aber die hatte es dort schon gegeben, bevor Fredo sich altersmäßig aus der Zielgruppe verabschiedet hatte. Glatte Haut, Zähne okay, Gewicht im Normbereich. Klamotten im Trend. Jobmäßig wird sich eine Lösung finden, alles andere ist im Lot, versuchte sich Fredo einzureden und wusste trotzdem plötzlich glasklar: jetzt ein paar Bier zu viel und dazu Bert Schmidtbauers betont aufmunterndes Gequatsche über künftige, hoffnungsvolle TV-Projekte und die sich daraus ergebenden Chancen für Drehbuchschreiber – und Fredo versackte in purer Tristesse. Warum ging er nicht einfach nach Hause? Dort wäre Sandra. Und wo Sandra war, herrschte immer genug Trubel, um alles andere zu vergessen.
    Sie hatten sich im Vorjahr kennengelernt, als Fredo eines Sonntags mit einigen Freunden auf einer Wiese im Tiergarten Fußball spielte und eine Flanke von halbrechts volley nahm. Sein fulminanter Spannstoß hatte zwar das Tor verfehlt, nicht aber die hübsche Joggerin, die im selben Moment dahinter kreuzte. Der Ball krachte ihr granatenmäßig an den Kopf, was Sandra eine leichte Gehirnerschütterung und Fredo eine neue Liebste eingebracht hatte – Letztere allerdings erst, nachdem ein opulenter Genesungsblumenstrauß und ein Entschuldigungsessen beim angesagten Italiener den Weg zu weiteren Verabredungen geebnet hatten. Sandra genoss das Leben in vollen Zügen: Probierte dieses aus und jenes, stürzte sich mit allem auf alles, was die Hauptstadt jungen, schönen und begeisterungsfähigen Menschen zu bieten vermochte. Zusammen mit Sandra konnte Fredo das tun, was ihm ohne Sandra immer seltener gelang – des Daseins federleichte Seiten aufblättern.
    Fredo trocknete sich die Hände. Er würde nach Hause gehen, sofort. Kein Frustbesäufnis mit Bert. Er nickte seinem Spiegelbild entschlossen zu und kehrte zurück in die Oberwelt.
    Bert Schmidtbauer lehnte bäuchlings über der trennenden Brüstung zur benachbarten Sitzgruppe und fraternisierte heftig mit einer Gruppe angeduselter Jungmänner, die ihre tristen Büroanzüge mit verwegen drapierten Eintracht-Frankfurt-Fanschals aufgepeppt hatten.
    »Saison 91/92, letzter Spieltag, Rostock!«, dozierte Bert soeben mit erhobenem Bierglas. »Bis dahin die beste Eintracht, die die Bundesliga jemals gesehen hat!«
    »Und dann alles vergeigt«, jammerte bierschwer ein milchgesichtiger Nadelstreifen, der besagte Saison bestenfalls in der Kita erlebt haben konnte.
    Bert, der Aufbauspezialist, träufelte sachkundig Trost auf die posttraumatisierten Fanseelen. »Weil der Schiri den Elfer nicht gepfiffen hat. Ich sag nur: Glasklares Foul an Ralf Weber im Rostocker Strafraum!«
    »Jawoll!«
    »Nur wegen dem Schiri!«
    »Ey, Mann – noch’n Bier?«
    Der eben noch schwer depressive Nadelstreifen legte zärtlich die Hälfte seines Fanschals um Berts schmale Schultern und intonierte markerschütternd Stadiongesang: »Wir sind Adler, wir sind Adler, keiner mag uns, scheißegal …«
    Fredo winkte dem Kollegen kurz zu, der inmitten der Schar neuer Freunde seinen Abgang kaum registrierte, und verließ die Sportbar, ohne sich noch einmal umzusehen. Um Bert muss man sich keine Sorgen machen, dachte Fredo, der

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