Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
nicht, wehre ich mich verzweifelt, ich kenne dich nicht, und ihr kennt mich nicht, sage ich laut, ich bin nicht der, für den ihr mich haltet. Tamim, Tamim, klagt sie und nimmt mein Gesicht in ihre rauen Hände, was haben sie dir angetan, dass du deine eigene Familie nicht mehr kennst?
Meine Mitbewohner stehen einer nach dem anderen auf und steuern auf die Tür zu. Lasst mich nicht alleine, flehe ich, doch sie erhören mich nicht. Ich will auch gehen, aber die Frauen lassen nicht ab von mir, sie hängen an mir wie Kletten und stellen unablässig Fragen über Leute, die ich nicht kenne, und Ereignisse, von denen ich nichts weiß. Zakia und Haluk bleiben, es gelingt ihnen, die drei wenigstens vorübergehend von mir wegzulocken, sie nehmen die Älteste zur Seite und sprechen mit ihr, ich weiß nicht worüber, ich weiß nicht, in welcher Sprache, es ist mir in diesem Augenblick egal. Was soll ich tun, wende ich mich verzweifelt an Pitra, doch die Schwarze Köchin schüttelt traurig den Kopf und schweigt, wahrscheinlich tun ihr die drei verwirrten Frauen leid. Auch mich dauern sie, ich möchte sie nicht verletzen, doch ihr Wahn ist schwer zu ertragen. Gemeinsam mit Haluk und Zakia gelingt es mir schließlich, sie zu überreden, mich gehen zu lassen, ich verspreche, sie am nächsten Tag zu treffen, sie umarmen mich zum Abschied ein letztes und noch ein allerletztes Mal. Und da ist plötzlich, einen Wimpernschlag lang, im Geruch meiner vermeintlichen Mutter etwas, das mir bekannt vorkommt, etwas, das Erinnerungen wachzurufen scheint, und ich verschwinde rasch, bevor ich noch völlig von anderer Leute Wahnvorstellungen angesteckt werde.
Ali, kommst du bitte zum Onkel ins Büro, wenn du mit dem Frühstück fertig bist, bittet mich Haluk am nächsten Morgen. Wir müssen mit dir reden. Bin gleich da, lüge ich und stehle mich unbemerkt aus dem Haus. Ich besuche Djaafar und verbringe den ganzen Tag mit ihm im Möbelhaus, die für heute geplante Entführung des Ministers verschiebe ich auf morgen. Als ich des Abends zurückkomme, hat Tony Dienst. Deine Mutter hat den ganzen Tag auf dich gewartet, sagt er vorwurfsvoll, und auch der Onkel wollte mit dir reden. Ich habe keine Mutter mehr, sie kann also auch nicht auf mich gewartet haben, korrigiere ich ihn. Auch er will mit mir reden. Bitte, Tony, reden wir morgen, ich fühle mich nicht so gut, sage ich, und er lässt mich ziehen. Am nächsten Morgen stehle ich mich wieder rechtzeitig aus dem Haus, wo mir allerdings die drei Erinnyen über den Weg laufen, und ich muss eine ganze Weile rennen, Tamim, mein Sohn, Tamim, Bruder, so bleib’ doch stehen, um sie abzuschütteln.
Das Spielchen geht in den folgenden Tagen so weiter, alle wollen mit mir reden, die drei Frauen belagern das Haus und wollen mich küssen und umarmen, zur Sicherheit bleibe ich dem Haus also zumindest tagsüber fern, Bruder Djaafar gewährt mir Unterschlupf und spendet Trost. Unter diesen Umständen kann man natürlich nicht arbeiten, das Versteckspiel geht daher auch auf Kosten meiner Entführungs- und Streikpläne. Der Auftritt der armen Frauen hat mich, auch wenn ich es nur ungern zugebe, irgendwie eigenartig berührt und mitgenommen. Ich fühle mich seltsam schwach und verschiebe meinen Einsatz daher erneut, im Biedermeierwohnzimmer sitzend harre ich der Dinge, die da kommen mögen. Nino singt ihrem Sohn Wiegenlieder, Dunjas Geigenspiel tönt durchs Haus, und sie spielt uns Schwanengesang und Totentanz. Und dann kommen sie und holen uns.
Epilog
Und dann kommen sie und holen uns. Sie treiben uns im Erdgeschoss zusammen, sie durchsuchen jeden Winkel des Hauses vom Keller bis zum Dach, um nur ja niemanden zu übersehen, dann bringen sie uns hinaus und setzen uns in eine Straßenbahn, sie fesseln und knebeln uns und ketten uns an die Sitze, und ich bin zu schwach, um mich zu wehren. Nino wird nicht geknebelt, sie muss ja für Ilarion, den man ihr an die Brust gebunden hat, Wiegenlieder singen, Dunja ist zwar geknebelt und angekettet, ihre Arme kann sie jedoch frei bewegen, sonst könnte sie ja nicht Geige spielen für uns. Es sitzen auch andere, nicht gefesselte Menschen in der Straßenbahn, Wirwollen diesen Abschaum nicht, beschweren sie sich, Dieser Abschaum wird sowieso abgeschoben, antworten die Polizisten, Aber das muss schneller gehen, viel schneller, fordern die anderen, doch die Polizisten zucken nur mit den Schultern, dann steigen sie aus, und die Straßenbahn fährt los Richtung Zentrum.
Wir biegen
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