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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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zu geben. Sie war immer wieder krank und wusste nicht wieso, informiert mich Nicoleta, sie erzählt von Schwindel- und Ohnmachtsanfällen und von einem Rumor, den man Mira vor ein paar Tagen aus dem Bauch geschnitten habe. Kein böser Rumor, sondern ein guter, sagt sie, es geht ihr schon besser, aber es wird noch dauern, bis sie wieder bei uns arbeiten kann. Arbeiten darf , müsste man korrekterweise sagen: Für sechs Jugendliche braucht es keine fünf Betreuer, spricht nämlich der Geldgeber, und Hans wurde bereits gekündigt, Mira könnte die Nächste sein.
    Sechs Jugendliche also. Außer mir sind das Nino, Nicoleta, Oma, Kamal und Dunja, dazu noch Murad – zwar wohnt er unten bei Mutter und Schwester, kommt aber täglich zu Besuch in den vierten Stock, er scheint uns, wer hätte es für möglich gehalten, zu vermissen – und Djaafar, mein Herzensbruder, der erst gestern auf eine Tasse Tee vorbeischaute.
    Doch für derlei Beschaulichkeit bleibt leider nicht viel Zeit. Leute, ermahne ich meine Genossinnen und Genossen beim Mittagessen, nur weil wir wenige sind und die Situation schwierig ist, entlässt uns das nicht aus unserer Verantwortung, ganz im Gegenteil. Wir wechseln hinüber ins Fußballzimmer, ich steige auf die Fußballtischbarrikade und halte eine Brandrede, doch meine Mitbewohner lassen sich trotzdem nicht entzünden. Du kommst wieder in Spital, meint Oma besorgt, als ich von einer weiteren Befreiungsaktion für Schubhäftlinge spreche. Das ist zu viel gefährlich, lehnt Nicoleta die Stürmung eines Fernsehstudios während der Abendnachrichten ab. Du spinnst, quittiert Nino meine Idee, den neuen Innenminister zu entführen. Dunja kaut schweigend an ihrem Kaugummi und starrt gelangweilt vor sich hin, und Kamal fragt, was denn das sei, als ich einen Warnstreik aller ausländischen Arbeitskräfte vorschlage. Vielleicht gibt es dann endlich Arbeit für uns Asylwerber, sagt er voller Hoffnung, nachdem ich ihm Wesen und Sinn eines Streiks in seiner Muttersprache erklärt habe. Ich gebe auf.
    Ich steige wieder hinab ins Reich der Erwachsenen, um dort Verbündete und Mitstreiter zu suchen, doch meine Freunde und Bekannten sind alle fort, die anderen sind genauso zögerlich und ängstlich wie die Jugendlichen. Nun gut, dann beginne ich eben alleine mit meinen Vorbereitungen. Der Minister und sein Umfeld wollen beobachtet, ein Bekennerschreiben – Freilassung nur bei einem sofortigen Abschiebestopp – will aufgesetzt sein, für den Streik braucht es Medienarbeit, Plakate und Flugzettel – Alle Räder stehen still, wenn unser fremder Arm es will –, das Fernsehstudio muss ausgekundschaftet werden, es gibt also eine Menge zu tun.
    Meine Genossinnen und Genossen machen es sich derweil im Leo gemütlich – wenn draußen die Welt untergeht, dann zieht man sich eben ins Biedermeierwohnzimmer zurück. Wenn mein Vorbereitungstagwerk erledigt ist, dann geselle auch ich mich dazu und tue vorübergehend so, als wäre alles in bester Ordnung. Wir schauen Filme, hören Musik, manchmal lausche ich Dunjas Geigenspiel, wir spielen mehr Tischfußball denn je, und Oma, der ich zu Weihnachten noch Sinn und Zweck des Fußballtisches erklären musste, ist inzwischen die beinahe unbestrittene Meisterin. Alenka, deren Mutter immer noch im Krankenhaus weilt, übernachtet zwei- oder dreimal pro Woche bei uns, an diesen Abenden wird die Küche zur Spielhölle, Mensch-ärgere-dich-nicht, Monopoly, Mühle, Abbalone, diverse Kartenspiele, Alenka ist einfach unersättlich. Beim Schummelspiel ist sie fast unschlagbar, außer mir fällt jeder auf ihre Grimassen rein, umgekehrt durchschaut sie fast immer die Tricks der anderen. Zu schummeln versucht sie auch bei den anderen Spielen, manchmal klopfe ich ihr verbal oder auch manuell auf die Finger. Ich schummle nie, streitet sie entrüstet ab, manchmal lasse ich sie mit väterlichem Lächeln gewähren, damit sie am Ende eines Spiels erneut das Siegespodest erklimmen kann.
    Nino hält während des Spiels ihren sogenannten Sohn im Arm, er scheint sich wohlzufühlen in unserer Runde, Oma und Nicoleta schmelzen jedes Mal dahin, wenn sich Ilarions Lippen kräuseln. Er lacht, bilden sie sich ein, nur an Dunjas gelangweilter Miene prallt dieses angebliche Lächeln ab und findet keinen Halt. Einmal beginnt Ilarion dezent zu weinen, Nino packt ihre Madonnenbrust aus und stopft ihm damit das Maul, Kamal weiß nicht, wo er hinblicken soll und kann und darf, und wird knallrot im Gesicht. Ilarions

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